In Europa werden die Preise für Erdgas auf den Grosshandelsmärkten wohl noch eine ganze Weile hoch bleiben. (Bild: Shutterstock.com/Avigator Fortuner)
In Europa werden die Preise für Erdgas auf den Grosshandelsmärkten wohl noch eine ganze Weile hoch bleiben. (Bild: Shutterstock.com/Avigator Fortuner)

Der Rückgang der US-Inflation ist auf niedrigere Energiekosten zurückzuführen. Dem Bericht über die Erzeugerpreise zufolge sind die Energiekosten im Juli um 9% gesunken. Und laut dem Bericht zu den Verbraucherpreisen sind die Energiepreise im Monatsvergleich um 4,6% zurückgegangen. "Das gilt nicht für den Rest der Welt", betont Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers.

In Europa sind die Preise für Erdgas auf den Grosshandelsmärkten weiterhin hoch. In Anbetracht der Rolle, die Gas als direkte Energiequelle für Verbraucher und für den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage bei der Stromerzeugung spielt, werde sich dies wohl nicht so bald ändern. Die Drohung Russlands, die Gaslieferungen nach Europa zu drosseln, bedeute weniger Angebot, höhere Preise und eine mögliche Rationierung der Gasnutzung im kommenden Winter. Dies würde wahrscheinlich zu einem nicht unerheblichen Verlust bei der Produktion in Europa in 2023 führen.

Komplexe Energiemärkte

"Das Problem im Energiebereich besteht derzeit darin, dass die meisten Länder trotz der zunehmenden Rolle erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung immer noch auf Erdgas angewiesen sind, um Stromangebot und -nachfrage ins Gleichgewicht zu bringen", sagt Iggo und erklärt weiter: "Die Erzeuger, die einen hohen Gaspreis zahlen, legen den Strompreis auf Grundlage der Grenzkosten für die Erzeugung zusätzlicher Stromeinheiten fest. Zwischen dem Preis für Erdgas und dem für Strom auf den Grosshandelsmärkten besteht eine sehr hohe Korrelation. Wenn dieses zusätzliche marginale Gasangebot gefährdet ist, sind die Elektrizitätsfirmen bereit, heute höhere Preise zu zahlen, um sich künftige Lieferungen zu sichern. Selbst dann könnte es nicht genug sein, weshalb man von Rationierung spricht."

Einige Unternehmen seien vollständig in die Wertschöpfungskette integriert – von der Gewinnung von Kohlenwasserstoffen über die Veredelung und Reinigung bis hin zur Stromerzeugung und Strom- und Gasverteilung. Da die Grosshandelspreise für Gas durch den Konflikt in die Höhe getrieben wurden, konnten sie die Strom- und Gaspreise für die Endkunden erhöhen. Die Folge seien Rekordgewinne, vor allem für integrierte Öl- und Gaskonzerne und Versorger. Anderswo hätten stärker regulierte Endkundenpreise oder direktes öffentliches Eigentum die vollen Auswirkungen der höheren Gas- und Ölpreise auf den Verbraucher (zumindest ein wenig) abgefedert.

Veränderte Abhängigkeiten

Die Komplexität der Energiemärkte spiegele auch ihre gegenseitigen Abhängigkeiten wider, so Iggo. Die europäischen Strom- und Gasnetze sind miteinander verbunden, was eine grössere Flexibilität bei Nachfrageschwankungen ermögliche. Darüber hinaus importiere Europa Energie aus dem Rest der Welt, wobei flüssiges Erdgas (LNG) in dieser Hinsicht am wichtigsten sei. Höhere LNG-Importe seien ein Teil der Lösung für das russische Problem.

"Inflation wird immer dann ein Thema sein, wenn es bei den wichtigsten Brennstoffen für die Energieerzeugung zu freiwilligen oder unfreiwilligen Lieferunterbrechungen kommt – meist aus geopolitischen Gründen. Gas wird ein ausgleichender Faktor für die Energieerzeugung bleiben. Die Herausforderung besteht darin, die Auswirkungen davon zu verringern, indem der Anteil erneuerbarer Energieträger weiter erhöht und der Ausgleichsbedarf an Gas von politisch weniger instabilen Lieferanten gedeckt wird", meint Iggo. Die Energiesicherheit ist seiner Ansicht nach zu Recht zu einem politischen Schlüsselthema geworden, aber es werde immer so sein, dass einige Länder nie vollständig unabhängig sein werden, weil sie einfach nicht über die natürlichen Ressourcen verfügen. Verbesserungen bei der Energieeffizienz und der Energiespeicherung würden aber dazu beitragen, die wirtschaftlichen Auswirkungen von Handelsunterbrechungen abzufedern. Stärkere internationale Handelsabkommen zwischen befreundeten Nationen würden ebenfalls helfen.

Nicht mehr vorübergehend

Bei der Inflation geht es nicht nur um Energie. Die Kerninflation ist überall hoch, da die Kosten für alle Waren und Dienstleistungen gestiegen sind. Diesem Trend liegen strukturelle Angebots- und Nachfrageprobleme zugrunde – bei Rohstoffen, in der Lebensmittelproduktion, bei Halbleitern und auf dem Arbeitsmarkt. "Die Inflation ist also nicht vorübergehend, sondern hängt in vielerlei Hinsicht damit zusammen, wie sich die Pandemie auf die Weltwirtschaft auswirkte. Wir müssen also unseren Optimismus in Bezug auf den möglichen Höhepunkt der Inflation in den USA zügeln", hält der Investmentstratege fest.

Eine Straffung der Geldpolitik sei ein recht stumpfes Instrument, aber die Märkte seien wohl zu optimistisch, was die mittelfristigen Aussichten für die Zinsen angehe. All dies mache inflationsgebundene Anleihen weiter attraktiv, und zwar aus dem einfachen Grund, seil die Kupons an die Verbraucherpreise gekoppelt sind. "Die Weltwirtschaft wird letztlich Lösungen für die Marktineffizienzen finden, die heute die Inflation verursachen. Aber das bedeutet immer noch eine höhere Inflation in den kommenden paar Jahren als in der Zeit vor Covid", sagt Iggo.

Dieser Artikel wurde cash von Investrends.ch zur Verfügung gestellt. Verpassen Sie keine News zu aktuellen Themen aus der Fonds- und Asset-Management-Branche. Investrends.ch liefert Ihnen im Newsletter zweimal wöchentlich die Zusammenfassung der Nachrichten und informiert Sie über Sesselwechsel und wichtige Veranstaltungen. Hier abonnieren