In der heutigen FuW ist dieser interessante Artikel erschienen:
"Wann kommt die Sektor-Rotation?
Konjunkturabschwächung würde SMI-Titel favorisieren – Mid und Small caps sind Wette auf Gewinnwachstum
Von Wolfgang Gamma
Der Schweizer Aktienmarkt weist für 2006 ein bisher erfreuliches Gesamtbild auf. Nicht zum ersten Mal waren die Mid und Small caps die Zugpferde, während die grosskapitalisierten Werte nur langsam auf Touren kamen. In den letzten Wochen gaben die im SMI enthaltenen Grössen den Takt an – die mit Übernahmen oder entsprechenden Offerten (oder auch nur Gerüchten) konfrontierten Gesellschaften der zweiten Reihe ausgeschlossen. Ob die Large caps ihre derzeit überdurchschnittliche Schubkraft in das kommende Jahr mitnehmen können oder ob Anleger in kleinen Werten besser bedient sein werden, ist noch nicht entschieden.
Fest steht, dass das Börsenumfeld für Aktien insgesamt weiterhin als günstig zu werten ist. Viele Gesellschaften melden über Erwarten deutliche Gewinnwachstumsraten. Die konjunkturellen Aussichten sind trotz Anzeichen einer Abkühlung in den USA intakt, zumal die Rohstoffpreise weniger Inflationsdruck aufbauen als 2005 und in der ersten Hälfte des laufenden Jahres. Auch sind viele Investoren während der sich akzentuierenden Hausse (zu) vorsichtig geblieben und inzwischen in Aktien unterinvestiert. Eine zunehmende Untergewichtung in Aktien erhöht jedoch den Druck auf die institutionellen Anleger, ihre Einschätzung zu korrigieren und ihre Aktienquote zu erhöhen.
Mit Blick auf die Bewertung ist ebenfalls keine Übertreibung auszumachen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von gut 18 für den Gesamtmarkt liegt unter dem langjährigen Mittel. Auch im Vergleich zu Anfang Mai – dieser Monat war vom Rückschlag der Aktienmärkte geprägt – und zu Anfang Jahr ist die Bewertung niedriger. Dass die Kursfortschritte nicht von einer KGV-Ausdehnung begleitet wurden, liegt an der ausserordentlichen Gewinnentwicklung der meisten Gesellschaften.
Prämie für SMIM
Die Erholung des Aktienmarkts im dritten Quartal und die Entwicklung seit Ende September rückten die grosskapitalisierten Werte in den Vordergrund. Die Bank Sarasin schreibt diese Tendenz der abnehmenden Risikobereitschaft der Anleger zu. Defensivere Titel hätten insgesamt nach der Korrektur besser abgeschnitten, während in den Monaten zuvor zyklischere Titel bevorzugt worden seien. Als grössten Risikofaktor nennt die Studie die erwartete Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Sollte die Kauflust der US-Konsumenten erlahmen und einen Rückgang der Importe bewirken, werde dies nicht ohne Folgen für die europäische und die Schweizer Wirtschaft bleiben. Ein verlangsamtes Exportwachstum dürfte die kleinen und mittleren Werte besonders treffen, die Zulieferer für die Konsumgüterindustrie sind. Die Gewinnzuwachsraten der mittleren und kleinen Unternehmen sind zwar noch oft zweistellig, doch hat sich das Tempo der Entwicklung der Grossen angenähert, deren Gewinnwachstum mit 12% in den letzten beiden Jahren mehr oder weniger konstant geblieben ist.
Ein anderes Indiz, dass die Luft in den Small und Mid caps dünner ist als auch schon, zeigt die Bewertungsprämie zu den SMI-Vergleichswerten auf der Basis des geschätzten Gewinns. Sie beträgt immer noch rund 20% (SMI: KGV 16,3 resp. SMIM: KGV 19,7), obwohl sie durch das Rally in den Standardwerten etwas kleiner geworden ist. Im Frühjahr war die damals ausgeprägtere Differenz vielfach als Anlass zu Umschichtungen in die grossen Titel genommen worden.
Für ein besseres Abschneiden des SMI spricht ausserdem, dass defensive Sektoren wie Pharma oder Nahrungsmittel in schwächeren Wachstumsphasen bzw. in einem Abschwung an Bedeutung gewinnen. Das müsste die Nachfrage nach Novartis, Nestlé und Co. zumindest stützen.
Infrastruktur und Investitionen
Ein anderes Szenario geht davon aus, dass sich die Konjunkturabschwächung in Grenzen halten wird und die Gewinndynamik deshalb erhalten bleibt. Diese Sichtweise setzt darauf, dass sich Öl und andere Rohstoffe nicht wieder verteuern und die Ausgabefreudigkeit der Konsumenten entsprechend nicht geschmälert wird. Preisgünstige Ressourcen würden in den Unternehmen gleichzeitig Mittel frei halten für Investitionen. Konkret könnte das heissen, dass Industrieinvestitionen und Infrastrukturprojekte leichter durchgesetzt werden können. In Europa und den USA wächst zum Beispiel der Renovationsbedarf im Bausektor, in Asien sind Projekte zur Energieversorgung vordringlich. Zusammen ergibt das eine breit abgestützte Nachfragekombination, von der die international gut aufgestellten Schweizer Anbieter profitieren sollten, die ja besonders im SMIM-Universum zu finden sind.
Nach Einschätzung von Beat Käser, der in der Privatbank LODH für die institutionelle Vermögensverwaltung verantwortlich ist, sind deshalb die Chancen gut, dass die Unternehmensgewinne besonders der Mid caps auch 2007 deutlich steigen werden. Dass der günstige Einfluss der Wechselkurse abnehme, werde durch andere Faktoren wie die Entlastung auf der Rohstoffseite wettgemacht. Die Relation zwischen dem Kurs-Gewinn-Verhältnis und dem erwarteten jährlichen Gewinnwachstum (Peg ratio) beurteilt er als nach wie vor attraktiv. Favoritensektoren kann Käser keine ausmachen, Stock picking heisst deshalb seine Devise.
Übernahmefantasie
Ein weiteres Argument, das in der Betrachtung nicht fehlen darf, ist die grosse Liquidität, die Unternehmen und Private-equity-Gesellschaften zur Verfügung haben. Viele Kassen sind prall gefüllt und warten nur darauf, ins Spiel gebracht zu werden. Übernahmefantasie heisst in diesem Fall das kurstreibende Zauberwort, das ohnehin soliden Anlagen noch etwas zusätzliche Attraktivität zu verleihen vermag. Den Gesellschaften in der obersten Liga fehlt diese Eigenschaft weitgehend wegen ihres hohen Marktwerts, der potenzielle Interessenten zu einem finanziellen Kraftakt zwingen würde. Auf Transaktionen wie die Übernahme Saurers durch OC Oerlikon oder die Offerte für SIG ist denn auch der jüngste Aufwärtstick des SMIM zurückzuführen.
Im gegenwärtigen Börsenumfeld und anhand der skizzierten Ausgangslage ein Segment in eine klare Favoritenrolle am Aktienmarkt zu hieven, ergibt wenig Sinn. Defensive Werte sind Anlegern zu empfehlen, die erwarten, dass das kommende Jahr von einer konjunkturellen Abschwächung ausgehend von den USA geprägt sein wird. Im heimischen Kurstableau sind diese Titel vor allem unter den Blue chips zu finden. Etwas mutigere Investoren können weiterhin auf ein ausgeprägteres Gewinnwachstum der Aktien der mittel- und kleinkapitalisierten Unternehmen setzen. Die Zulieferer der Konsumgüterindustrie sowie Industrieausrüster, deren Titel vorwiegend im kleinen Segment geführt werden, bieten sich dazu an.
Finanz und Wirtschaft vom 25. Oktober 2006"