Wirtschaftlich am Abgrund
Die Krim war bislang in hohem Mass von der Ukraine abhängig. Russland wird zumindest kurzfristig nicht alle Lücken schliessen können.
Eine Abspaltung von der Ukraine ist für die Krim eine wirtschaftliche Katastrophe. Zwar versicherte der ukrainische Finanzminister Olexander Schlapak, dass Kiew der Schwarzmeer-Halbinsel vorerst nicht den Geldhahn zudrehen werde. Und auch Russland stellte bereits wirtschaftliche Hilfen in Millionenhöhe in Aussicht. Doch solche Bekundungen unterstreichen vor allem, dass die Krim allein kaum überlebensfähig ist.
Die Halbinsel und ihre zwei Millionen Einwohner bekommen bislang 85 Prozent ihres Wassers und 82 Prozent ihres Stroms vom ukrainischen Festland, wie der Energieexperte Michailo Gontschar vom Nomos-Zentrum in Kiew erklärt. Bei der Gasversorgung ist die Krim weniger abhängig. Das Staatsunternehmen Tschornomornaftogas fördert jedes Jahr 1,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Schwarzen Meer. Damit kann die Krim ihren Gasbedarf gerade so decken.
Touristen werden wegbleiben
Zumindest kurzfristig könne die Russland fehlende Ressourcen nicht ersetzen, «weil zwischen Russland und der Krim keine Infrastruktur-Verbindungen existieren», sagt Gontschar. Auch eine schon lange geplante Brücke könnte frühestens in einigen Jahren fertig sein.
Am meisten Geld wird auf der Krim mit dem Tourismus verdient. Seit Sowjetzeiten ziehen Badeorte wie Jalta und Jewpatorija im Sommer zahlreiche Urlauber an, im vergangenen Jahr waren es mehr als zwei Millionen. In diesem Jahr dürften die meisten Touristen jedoch wegbleiben. Viele würden auf die Türkei oder ins russische Sotschi ausweichen, weil ihnen die Krim zu «gefährlich» sei, sagt die bekannte ukrainische Wirtschaftsjournalistin Sewgil Musaewa.
Geringe wirtschaftliche Bedeutung für die Ukraine
Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig ist die Landwirtschaft, die jedoch auf das Wasser vom Festland angewiesen ist. Nun herrsche die Angst, dass die Ukraine der Krim einfach das Wasser abdrehe, sagt Olexej Skorik vom Entwicklungsfonds für die Krim. Er geht davon aus, dass sich die schon jetzt schwierige wirtschaftliche Lage weiter verschlechtern wird. Vor allem Investitionen dürften ausbleiben.
Bislang erhält die Region jährlich 2,8 Milliarden Griwna (220 Millionen Euro) von der Zentralregierung in Kiew, rechnet Walerij Tschali vom Kiewer Rasumkow-Zentrum vor. Zwar stellte der russische Parlamentsabgeordnete Pawel Dorochin, der Vizevorsitzender des Industrieausschusses ist, der Krim umgerechnet 790 Millionen Euro für Infrastrukturmassnahmen in Aussicht. Nach Einschätzung von Tschali, der früher Vize-Asusenminister war, dürfte das aber nicht reichen, um etwa Gehälter, Renten und andere Sozialleistungen zu zahlen.
Für die Ukraine dürfte eine Abspaltung der Krim wirtschaftlich dagegen nicht so sehr ins Gewicht fallen: Die Halbinsel trägt nur drei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei.
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