Made in China
Chinesen kopieren längst nicht mehr nur Rolex und Ray Ban. Auch Hochgeschwindigkeitszüge fallen den asiatischen Raubkopierern zum Opfer - und sogar eine ganze Firma. Von Daniel Puntas Bernet
Am Anfang sah es nach Routine aus. Im Sommer 2004 erhielten Manager der japanischen Firma NEC Hinweise, wonach in Peking und Hongkong gefälschte NEC-Keyboards aufgetaucht seien. Die Firma tat, was man in einer Region, wo Produktpiraterie fester Bestandteil der industriellen Landschaft ist, tut: Sie engagierte Detektive, um den Piraten das Handwerk zu legen.
Als Monate später beim Hauptsitz in Tokio Anfragen für Garantieleistungen von MP3-Playern eingingen, welche NEC gar nicht produzierte, begannen die Japaner, ihre Untersuchungen auszudehnen. Zwei Jahre und Tausende von Arbeitsstunden später sind sich die NEC-Manager einig: Die Piraten fälschten gleich ihre ganze Firma.
In 18 Warenhäusern und 50 Fabriken in China, Hongkong und Taiwan konnten rund 60 verschiedene falsche Produkte beschlagnahmt werden. Die Piraten vergaben im Namen von NEC Produktionslizenzen, druckten Visitenkarten und Firmenschilder, errichteten ein eigenes Forschungslabor und placierten an der Verkaufsfront ihre Kopien gleich neben den Originalen.
Der für die Untersuchung zuständige Stephen Vickers bezeichnete den spektakulären Fall gegenüber der Presse als «Brand Hijacking», die Entführung einer Marke.
Mit Piraten leben lernen
Zwar sind die Zeiten, in denen Milliarden von Gucci-Täschchen und Swiss- Army-Messern in asiatischen Fabriken gefälscht wurden, noch nicht vorbei. Doch sie markierten bloss eine Vorstufe in der Geschichte der industriellen Produktpiraterie. Die Chinesen, so scheint es, werden immer dreister.
Der Herrenbekleider Hugo Boss, der in China weniger Umsatz erzielt als die Hersteller von Hugo-Boss-Duplikaten, entdeckte auf der Suche nach Piraten- Anzügen gleich ein perfekt kopiertes Verkaufsgeschäft. Die Einkäufer des Maschinenherstellers Hilti staunten nicht schlecht, als sie an einer Messe auf ihren eigenen Stand stiessen: Gleicher Auftritt, gleiche Produkte, alles von «Cilti». Schon seit einiger Zeit kämpft Schindler gegen die Produzenten von designgleichen Rolltreppen mit fremder Beschriftung. Jetzt soll in einem neuen Bürogebäude in Berlin Mitte gar ein Lift von Schindler eingebaut worden sein - bestellt bei einem chinesischen Produktepiraten.
Wie geschäftet man als westlicher Industrieller mit einem Land, wo gleich ganze Hochgeschwindigkeitszüge abgekupfert werden? Nur zweieinhalb Jahre nach der Jungfernfahrt des Transrapid von Siemens und Thyssen-Krupp in Schanghai kündigte China an, mit einer eigenen Magnetschwebebahn das Land zu erschliessen. Auf wen kann sich ein Unternehmer mit Expansionsplänen nach China verlassen, wenn staatliche Stellen selbstverständlich kopieren, was durch ihre Hände geht? Letzte Woche etwa musste der renommierte Leiter des Bereichs Mikroelektronik der Universität Jiaotong in Schanghai zurücktreten und zugeben, den zuvor gefeierten Durchbruch in der Halbleiterforschung einer Motorola-Kopie zu verdanken.
Beat Bürgi, Direktor des Swiss Business Hub in China, kennt drei mögliche Strategien, um gegen Produktpiraterie gewappnet zu sein. «Eine Firma, die mit China ins Geschäft kommen will, muss davon ausgehen, dass sie kopiert wird. Sie sollte gegenüber den Fälschern in der technologischen Entwicklung immer sechs bis neun Monate voraus sein.» Eine weitere Möglichkeit besteht darin, in China nur die Produkthülle zu produzieren, die Produktion der Technologie jedoch in der Schweiz zu belassen. Und schliesslich lassen einige Firmen ihr Produkt in wenigen Teilschritten an unterschiedlichen Orten produzieren, so dass kein lokaler Produzent über die Beschaffenheit des Ganzen Bescheid weiss.
Trotzdem schaffen es die wenigsten Firmen, sich ganz gegen die Raubkopierer zu wehren. Für einzelne Schweizer Uhrenhersteller mag die Tatsache, dass man überhaupt kopiert wird, lange Zeit als imagefördernder Nebeneffekt gegolten haben. Der Sprecher einer bekannten Kleidermarke räumte gar ein, man wäre beleidigt, würde man nicht kopiert. Für namenlose Industrieprodukte gilt dies nicht. Betroffen sind laut Kurt Meier von Swissmem praktisch alle, die mit China ins Geschäft treten. Die Resignation ist, trotz verbesserter Gesetzgebung, gross.
Kopierte Chinesen
Beat Weibel von ABB erzählt, wie die Produktepiraten immer neue Strategien aushecken. «Zuletzt konnten wir beobachten, wie chinesische Fabriken nur Teile eines Produkts fabrizierten, um es dann in einer Freihandelszone ausserhalb Chinas zu einem gefälschten Ganzen zusammenzufügen.» ABB sorgt sich vor allem, dass ihre gefälschten Sicherungsschalter im Niederspannungsbereich einmal nicht funktionieren - und so Menschenleben gefährden könnten. «Muss denn zuerst ein Flugzeug vom Himmel fallen, bis die Leute das Problem ernst nehmen?», fragt Felix Addor, stellvertretender Direktor des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum in Bern. Addor legt den Finger noch auf einen andern wunden Punkt: «Solange es sich Touristen zum Sport machen, auf östlichen Märkten die neuste Software für ein paar Euro zu ergattern - und dabei indirekt Arbeitsplätze zu Hause gefährden -, fälschen die Chinesen weiter.» Zusammen mit Vertretern der Wirtschaft errichtete das Institut deshalb die Plattform «Stop Piracy» und plant eine schweizweite Aufklärungskampagne gegen Produktpiraterie.
Ein entscheidender Schritt zur Bekämpfung der Fälscher dürfte von den chinesischen Firmen ausgehen, die selber kopiert werden. Als vorletzte Woche an einer Messe in Köln ein chinesisches Plagiat einer Knopfloch- Maschine von Dürrkopp Adler auftauchte, setzte die Firma eine einstweilige Verfügung durch und zwar auf Antrag des chinesischen Mutterkonzerns Shanggong.
Kopierweltmeister China
Über 25% der ausländischen Marken, die in China im Handel sind, sind gefälscht (von Hollywood-Filmen über Taschenmesser bis zu Autoersatzteilen). Auf über 90% aller Computer in China ist illegal kopierte Software installiert - nur staatliche Organisationen nutzen seit kurzem keine gefälschten Produkte mehr. Immer mehr fallen auch chinesische Firmen den Produktepiraten zum Opfer, wie die Tabakmarke Red Pagoda oder der Haushaltgeräteproduzent Haier. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Produktepiraterie wird von der OECD auf 500 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. An den Zöllen der EU wurden 2005 214 Millionen gefälschte Güter beschlagnahmt, dreimal mehr als 2002. Am Schweizer Zoll wurden letztes Jahr gefälschte Güter im Wert von 10 Millionen Franken beschlagnahmt - 44% davon stammten aus China. Gemäss dem Institut für Geistiges Eigentum sind von 72 befragten Unternehmen in der Schweiz 64% von Fälschungen und Piraterie betroffen. (dpb.)