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Nein, das Leben eines Aktienanalysten ist alles andere als einfach. Lehnt er sich mit seinen Empfehlungen zu weit aus dem Fenster, läuft er Gefahr, falsch zu liegen und riskiert im ungünstigsten Fall seine Arbeitsstelle. Vermutlich versuchen die meisten Experten gerade deshalb, im Strom der gängigen Marktmeinung mitzuschwimmen.

Und tatsächlich wird die Stimmung unter den Analysten mit fortschreitender Hausse an den Aktienmärkten immer optimistischer und werden die Kaufempfehlungen immer zahlreicher und aggressiver.

Seit wenigen Tagen macht die Berufsgilde diesem Ruf einmal mehr alle Ehre. Auch hierzulande sind die jüngsten Kaufempfehlungen von Euphorie begleitet und an Aggressivität kaum mehr zu überbieten.

Nachdem Merrill Lynch bei den Namenaktien von Givaudan am Dienstag mit einer geradezu euphorischen Unternehmensstudie ein Kursfeuerwerk gezündet hatte, legte am Freitag Liberium Capital nach. Die Briten stuften die Papiere des in Genf beheimateten Herstellers von Aromen und Riechstoffen von "Neutral" auf "Buy" hoch. Neu wird das Kursziel mit 2000 (1488) Franken angegeben, was einem rechnerischen Aufwärtspotenzial von 16 Prozent entspricht.

Nicht nur bei Merrill Lynch sondern auch bei Liberium Capital scheint man den Anstieg des Unternehmenswerts von 40 Prozent seit Anfang Jahr schlichtweg verschlafen zu haben. Erst jetzt, auf dem höchsten Stand in der traditionsreichen Firmengeschichte, jagt man die eigenen Anlagekunden bei den beiden Banken noch in diese Aktien.

Keinen Deut besser ist der Medizinaltechnikanalyst von Morgan Stanley. Er rät seit Freitag zum Kauf der neuerdings mit "Overweight" eingestuften Namenaktien von Straumann. Obschon der früher für Merrill Lynch tätige Experte seine Gewinnschätzungen für die kommenden zwei Jahre nur leicht nach oben revidiert, errechnet er neu ein Kursziel von 280 (221) Franken. In einem wolkenlosen Szenario hält der Experte gar einen Anstieg bis auf 345 Franken für möglich.

Dass die Papiere des Herstellers von Dentalimplantaten bis unmittelbar vor seiner Kaufempfehlung alleine seit Anfang Jahr bereits um über 50 Prozent gestiegen sind, scheint ihn nicht weiter zu beschäftigen. Genausowenig wie die mittlerweile dem 25-fachen des voraussichtlichen nächstjährigen Gewinns entsprechende Bewertung.

Bei Morgan Stanley findet man sichtlich Gefallen am diversifizierten Geschäftsmodell, sprich an der im Tiefpreissegment angesiedelten Tochter Neodent. In Kombination mit anstehenden Produkteinführungen versprechen sich die Amerikaner davon eine Umsatzbeschleunigung.

Neu sind diese Aspekte allerdings nicht, weshalb die Frage gerechtfertigt ist, warum die Aktien von Straumann vor der jüngsten Hochstufung nahezu ein Jahr lang nur mit "Equal-weight" und einem Kursziel von zuerst 204 und dann 221 Franken eingestuft wurden. Dennoch reagierten die Papiere am Freitag mit einem Kurssprung von mehr als 3 Prozent.

Als weiteres Beispiel für das prozyklische Verhalten der Banken und ihrer Analysten drängen sich mir die Namenaktien des Börsenlieblings Lonza auf. Unter der Leitung von CEO Richard Ridinger ist dem Basler Pharmazulieferer in den letzten Jahren ein beeindruckender Turnaround gelungen. Etwas, das dem Unternehmen unter seinem erfolglosen Vorgänger Stefan Borgas verwehrt geblieben war.

Dieser seinesgleichen suchende Turnaround spiegelt sich auch in der Aktienkursentwicklung wider. Seit dem Frühsommer 2012 haben sich die Papiere nahezu vervierfacht, seit Anfang dieses Jahres errechnet sich immerhin ein Plus von gut 35 Prozent.

Am Donnerstag und Freitag sorgte die Zürcher Kantonalbank für Musik in den Aktien. In einer Unternehmensstudie stufte der viel beachtete Verfasser die Papiere von Lonza von "Marktgewichten" auf "Übergewichten" hoch. Auf Basis eines sogenannten Discounted-Cashflow-Modells errechnet er einen fairen Wert von 165 Franken, was fast 50 Prozent über dem aktuellen Kurs liegt.

Der Experte geht davon aus, dass der Pharmazulieferer anlässlich der Jahresergebnispräsentation im nächsten Frühjahr mit einem überzeugenden Ausblick für das neue Geschäftsjahr aufwarten wird. Das Unternehmen werde beim Umsatz voraussichtlich ein Wachstum von 7 Prozent und beim operativen Kerngewinn (EBIT) ein Wachstum zwischen 15 und 20 Prozent erreichen. Von den aktuellen Gewinnschätzungen lasse sich hingegen ein Umsatzwachstum von 6 Prozent beim Umsatz sowie eines von 12 Prozent beim EBIT ableiten. In der Folge erwartet der Experte beim Gewinn je Aktie im Jahresvergleich sogar eine Steigerung um knapp 72 Prozent. Nur deshalb errechnet sich auf Basis der nächstjährigen Schätzungen ein einigermassen vernünftiges Kurs-Gewinn-Verhältnis von gut 17.

Schon seit Monaten beobachte ich, wie die Analysten bei den meisten Schweizer Unternehmen trotz stagnierender wenn nicht gar rückläufiger Gewinnschätzungen ihre Kursziele kontinuierlich nach oben nehmen. Viele Experten stützen sich dabei auf Discounted-Cashflow-Modelle ab. Doch diese Modelle sind trügerisch, richtet sich der Diskontierungssatz doch nach den Kapitalkosten zum Bewertungsstichtag. Mit anderen Worten: In einem Umfeld wie dem jetzigen lässt sich ein sehr viel höherer fairer Wert errechnen, als in einem von steigenden Zinsen und einer geringeren Risikobereitschaft der Anleger geprägten Umfeld.

Meines Erachtens sind die aggressiven Kaufempfehlungen für die drei "Aktien der Stunde" nichts weiteres als ein Auswuchs der allgemeinen Euphorie und damit vor allem eines: ein weiterer Warnschuss vor den Bug hiesiger Anlegerinnen und Anleger.