Am Hauptsitz von Nestlé im waadtländischen Vevey ist man zu recht stolz auf die Geschäftsentwicklung der letzten Jahre. Selbst in schwierigen Jahren erfüllte der Westschweizer Nahrungsmittelkonzern das sich selbst verschriebene Ziel eines organischen Umsatzwachstums von 5 bis 6 Prozent ohne grössere Anstrengungen. Regelmässig wurde dieses Zielband sogar übertroffen.

Gestern schauten die erfolgsverwöhnten Aktionärinnen und Aktionäre deshalb nicht schlecht, als Nestlé für einmal enttäuschende Quartalsumsatzzahlen vorlegen musste. Mit 4,3 Prozent blieb das organische Wachstum nicht nur hinter den bei 4,6 Prozent liegenden Konsensschätzungen sondern auch hinter dem firmeneigenen Zielband zurück. Als Spielverderber erwies sich vor allem die Absatzentwicklung in Asien.

In Analystenkreisen zeigt man sich zu meinem Erstaunen nicht sonderlich besorgt über die gegenüber den vorangegangenen Quartalen doch recht einschneidende Wachstumsverlangsamung. Das Westschweizer Unternehmen werde den Rückstand gegenüber dem eigenen Wachstumsziel im weiteren Jahresverlauf wieder aufholen, so lautet der allgemeine Tenor.

Nur gerade bei Kepler Capital Markets schlägt man deutlich vorsichtigere Töne an. Als Reaktion auf die gestrige Umsatzenttäuschung reduziert der Experte seine Gewinnschätzungen für die kommenden Jahre zwar gerademal um 2 Prozent. Seine Annahmen für die zukünftige Dividendenentrichtung streicht er allerdings um durchschnittlich 11 Prozent zusammen. Der Experte glaubt in diesem Zusammenhang sogar, dass Nestlé das Ende einer Ära drohe und dem Traditionsunternehmen wachstumsärmere Jahre bevorstünden. Obschon er bei den Konsensschätzungen nur einen Abwärtsrevisionsbedarf von 4 bis 5 Prozent sieht, befürchtet er bei den mit «Hold» und einem Kursziel von 60 Franken eingestuften Aktien eine umfassende Bewertungskorrektur.

Es gibt nicht viele Analysten, welche ich als Koryphäe auf ihrem Gebiet bezeichnen würde. Der bei Kepler Capital Markets für Nestlé zuständige Experte bezeichne ich zweifelsohne als eine solche. Ursprünglich hiess es, die Aussagen von Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck zur zukünftigen Dividendenpolitik seien an der Generalversammlung von vergangener Woche falsch verstanden worden. Dem widerspricht der für Kepler Capital Markets tätige Experte. In meinen Augen könnte die zukünftige Dividendenpolitik durchaus auch für den Markt zu einem Thema werden.

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Der Siegeszug von Tracleer bescherte Actelion noch bis vor wenigen Jahren die eine oder andere Gewinnüberraschung. Nach dem Eintritt weiterer Mitbewerber in den höchst lukrativen Markt für Medikamente gegen Lungenhochdruck blieben solche allerdings weitestgehend aus.

Am vergangenen Dienstag sorgte das in Allschwil beheimatete Biotechnologieunternehmen allerdings für überraschte Gesichter. Wider anders lautenden Erwartungen konnte der Absatz mit dem Hauptumsatzträger Tracleer im zurückliegenden ersten Quartal um 3 Prozent gesteigert werden. In der Folge lagen nicht nur Umsatz, sondern auch EBIT und Reingewinn ziemlich deutlich über den jeweiligen Konsensschätzungen.

Für reichlich Wasser auf die Mühlen der Haussiers sorgte auch die im Laufe des Nachmittags abgehaltene Analystenkonferenz. An der Konferenz liessen die Firmenverantwortlichen durchblicken, dass unternehmensintern über eine Erhöhung der Gesamtjahresprognosen diskutiert werde.

Mit dieser Aussage erwischte Actelion die Baissiers eiskalt auf dem falschen Fuss. Aggressive Deckungskäufe liessen die Aktien in den letzten Tagen selbst in einem schwierigen Marktumfeld deutlich ansteigen.

Erwähnenswert ist meines Erachtens ein eher ernüchternder Kommentar aus dem Hause UBS. Darin empfehlen die beiden Verfasser die Aktien von Actelion zwar weiterhin mit einem 12-Monats-Kursziel von 61 Franken zum Kauf. Gleichzeitig warnen die Experten allerdings davor, dass die Geschäftsentwicklung der ersten drei Monate von einmaligen Sonderfaktoren aufgebläht worden sei. Einerseits sei es bei fortgeschrittenen Entwicklungsprojekten zu Verzögerungen gekommen, was sich in tieferen Forschungs- und Entwicklungskosten niedergeschlagen habe. Andererseits seien in den Absatzkanälen die zuvor ausgedünnten Lager wieder nachgefüllt worden. Insbesondere in den USA und in Japan sei der Absatz mit Tracleer deshalb höher als erwartet ausgefallen.

Tracleer wird schon in wenigen Jahren den Patentschutz verlieren. Doch auch sonst kann sich das Medikament mittlerweile nur noch schwer gegen das Konkurrenzprodukt Letairis von Gilead Sciences durchsetzen, verfügt letzteres doch über ein vorteilhafteres Nebenwirkungsprofil.

Mit dem Nachfolgepräparat Opsumit hat Actelion einen entscheidenden Pfeil im Köcher. Das Unternehmen will am diesjährigen Treffen der American Thoracic Society in Philadelphia erste Detailinformationen publik machen. Experten zufolge dürften diese Detailinformationen zwar überzeugend ausfallen. Dennoch wird sich zeigen müssen, ob sich Opsumit kommerziell von seinem Vorgänger Tracleer und vom Konkurrenzpräparat Letairis differenzieren lässt. Ich für meinen Teil bin mir alles andere als sicher, dass der bei Tracleer drohende Umsatzzerfall mit Opsumit vollständig aufgefangen werden kann.