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Nicht selten wird den Erwartungen an der Börse mehr Gewicht eingeräumt als den harten Fakten. Hierzulande wissen gerade die Aktionäre von Transocean, wovon ich schreibe. In Erwartung eines überzeugenden Zahlenkranzes erfreuten sich die Aktien des selbsternannten Rekordhalters auf dem Gebiet der Ölförderung auf hoher See einer regen Nachfrage. Innerhalb weniger Wochen schossen sie dank aggressiven Deckungskäufen um 40 Prozent nach oben.

Und obschon der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 30 Prozent einbrach, wurden die Analystenerwartungen gerade auf den Stufen operativer Gewinn (EBIT) und Reingewinn deutlich übertroffen. Einmal mehr lag der Teufel jedoch im Detail, weshalb die als gering bezeichnete Ergebnisqualität Gewinnmitnahmen lostrat.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. So liessen negative Kommentare aus der Analystengemeinde nicht lange auf sich warten. Einmal mehr machte die mächtige Investmentbank Goldman Sachs ihrem Ruf alle Ehre und nutzte eine Branchenstudie dazu, das Kursziel für die Aktien von Transocean auf 4,50 (5) Dollar zu kürzen. Mit anderen Worten: Die Studienverfasser sehen den Börsenwert des Unternehmens über die nächsten zwölf Monate um weitere 70 Prozent schmelzen. Wenig überraschend lautet das Anlageurteil daher "Sell".

Damit befinden sich die Amerikaner in allerbester Gesellschaft: Erhebungen zufolge empfehlen zwei von drei Analysten die Valoren des im Swiss Market Index vertretenen Unternehmens zum Verkauf. Eine deutliche Sprache spricht auch der Durchschnitt aller Kursziele, der bei gerade mal 12 Dollar liegt.

Die Probleme von Transocean sind ernst, vorerst aber nicht lebensbedrohlich. Unter dem neuen Firmenchef wurde die Förderflotte gesundgeschrumpft und die Bilanz von unnötigem Ballast befreit. Selbst wenn die Aktien eines Tages aus dem Swiss Market Index ausscheiden sollten, würde ein Rückschlag auf 4,50 Dollar einen weiteren Ölpreiszerfall voraussetzen.

Goldman Sachs war in den letzten Jahren immer wieder für das eine oder andere ziemlich extreme Kursziel gut (siehe auch Kolumne vom 26. Oktober).

Spontan denke ich da an das 15,50 Franken lautende 12-Monats-Kursziel für die auf der berühmt-berüchtigten "Conviction Sell List" geführten Aktien des in Zürich beheimateten Industriekonzerns ABB. Wie auch bei Transocean argumentiert die amerikanische Investmentbank vor allem mit den Folgen der schwachen Rohölpreise. In Erwartung eines darüber hinaus intensiveren Wettbewerbs mit Anbietern aus den Schwellenländern liegen die Gewinnschätzungen für die kommenden Jahre um bis zu 15 Prozent unter Konsens. Vom Kursziel lässt sich sogar ein Rückschlagpotenzial von 18 Prozent ableiten.

Davon lässt man sich bei den beiden grössten Aktionären von ABB allerdings nicht ins Bockshorn jagen. Erst gestern wurde bekannt, dass Investor AB die Beteiligung auf über 10 Prozent ausgebaut hat. Cevian Capital hält den letzten Offenlegungsmeldungen zufolge zwar nur 5,1 Prozent der Stimmen, dennoch macht diese Beteiligung beim zweitgrössten Aktionär geschätzte 16 Prozent der verwalteten Vermögenswerte aus.

Auf der Suche nach weiteren geradezu aufsehenerregenden Verkaufsempfehlungen bin ich bei Syngenta fündig geworden. Obschon der für die Berenberg Bank tätige Experte sein Kursziel für die Papiere des Basler Agrarchemieherstellers erst gerade auf 265 (250) Franken erhöht hat, liegt dieses noch immer knapp 25 Prozent unter dem gestrigen Schlussstand.

In einer mir zugespielten Branchenstudie zeichnet der Verfasser ein ziemlich düsteres Umfeld. Dieses habe sich über die letzten eineinhalb Jahre deutlich eingetrübt und mit dem sehr schwachen Auftakt der Anbausaison in Brasilien einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Wer die Hoffnung auf eine Übernahmeofferte durch Monsanto noch nicht aufgegeben hat, für den hat der Experte schlechte Nachrichten. Er rechnet nämlich nicht damit, dass der Rivale innerhalb nützlicher Frist an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Seine Befürchtung: Syngenta könnte vom Gejagten zum Jäger werden und eine überteuerte Grossübernahme tätigen.

Zuletzt hiess es allerdings gerüchtehalber, Syngenta stehe in Sondierungsgesprächen mit dem Partnerunternehmen DuPont. Mit einer Verschmelzung der sich ergänzenden Geschäftsaktivitäten liessen sich durchaus Aktionärswerte schaffen.

Den jüngsten Kurszerfall bei den Aktien von Adecco dürfte vor allem den für die Deutsche Bank tätigen Experten gefreut haben. Anders als seine Berufskollegen konnte er sein Kursziel nach der tiefgreifenden Enttäuschung von vergangener Woche sogar leicht auf 50 (48) Franken erhöhen. In Erwartung eines rückläufigen Branchenzyklus' hält er dennoch an seiner Verkaufsempfehlung fest. Das Rückschlagpotenzial beziffert der Experte auf mehr als 26 Prozent.

Auch die Schweizer Bankaktien bleiben nicht verschont. Bei Julius Bär hat Kepler Cheuvreux ein optisch tiefes Kursziel von 37 Franken ausstehen. Selbst nach dem Rücksetzer der letzten Tage entspricht das noch einmal einem Minus von gut 20 Prozent. Bei der Berenberg Bank sieht man die zum Verkauf empfohlenen Aktien der Credit Suisse um einen Drittel auf 16 Franken fallen. Wenig überraschend argumentiert der dafür verantwortliche Experte mit dem milliardenschweren Kapitalbedarf. Die Credit Suisse ihrerseits macht mit einer aggressiven Verkaufsempfehlung für die Papiere der Bank Vontobel von sich reden. Vom 38 Franken lautenden Kursziel lässt sich ein Abwärtspotenzial von etwas weniger als 19 Prozent ableiten.

Die genannten Kursziele und Empfehlungen haben alle eines gemeinsam: Bei allen geht der jeweilige Urheber von extrem pessimistischen und weit von der gängigen Meinung abweichenden Annahmen aus. Diese dürften im einen oder anderen Fall durchaus auch eintreffen.

Aktienanalysten werden immer wieder dafür kritisiert, dass sie oft mit dem Strom schwimmen und sich gerne im Einheitsbrei suhlen. In der heutigen Kolumne und in jener vom 26. Oktober habe ich gezeigt: Es gibt durchaus auch mutige Vertreter dieser Gilde. Nun auch diese noch zu kritisieren, wäre selbst für meine Verhältnisse verwegen. Dennoch sollten Anleger genau hinsehen, ob die auf die eine oder andere Seite ausscherende Empfehlung nicht doch einfach nur Effekthascherei ist.
 

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