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In den vergangenen Tagen durchlebten die Börsenakteure einmal mehr eine Achterbahn der Gefühle. Zumindest gefühlt war das Handelsgeschehen noch nie so selektiv. Es gibt an den Seuropäischen Aktienmärkten nur noch schwarz oder weiss - aber kein grau mehr.

Daran ändert auch die Europäische Zentralbank (EZB) und ihre "Politik des billigen Geldes" nichts. Die alte Börsenweisheit "die Flut hebt alle Boote" will nicht mehr greifen, zumindest nicht, was die von Mario Draghi und seinen Mitstreitern veranstaltete "Liquiditätsflut" anbetrifft. Die Aktienmärkte sind der immer neuen geldpolitischen Massnahmen müde geworden.

Von aggressiven Branchenrotationen wissen die Anlageexperten von BNP Paribas zu berichten. Wir leben in einer Börse der Extreme, so schreiben sie in einem mir zugespielten Strategiepapier.

Noch haben die Bewertungsunterschiede zwischen den günstigsten und den teuersten Aktiensektoren in Europa den Autoren zufolge zwar noch keine Rekordwerte erreicht. Dennoch machen sie gewisse Übertreibungen aus, welche sich aus Anlegersicht nutzen lassen. Denn früher oder später bauen sich solche Extreme meist wieder ab.

Anfang Januar seien defensive Aktien gefragt gewesen. Solche aus dem Rohstoffsektor seien hingegen verkauft worden. Im Februar hätten sich die Marktakteure dann aus den Finanzwerten verabschiedet und seit wenigen Wochen stünden nun neben den Aktien aus dem Rohstoffsektor genau diese wieder in der Anlegergunst und defensive Titel nicht mehr, so lautet die Zusammenfassung der vergangenen Monate.

Um von zukünftigen Branchenrotationen profitieren zu können, raten die Strategen zum Kauf von Immobilienaktien und im Gegenzug vom Leerverkauf von solchen aus dem Nahrungsmittelbereich. Innerhalb des Technologie-, Medien- und Telekommunikationssektors wird der Anlagekundschaft ein Übergewicht bei den Aktien von Unternehmen aus dem Telekommunikationssektor empfohlen.

Darüber hinaus hat BNP Paribas einen Korb von stark unterbewerteten Aktien zusammengestellt. Wer nun aber denkt, dass es auch Vertreter aus der Schweiz in diesen Korb geschafft haben, der irrt. Aus umliegenden Ausland sind darin Aktien wie jene von Daimler, Renault, Arkema, Evonik, Lanxess, Solvay, HeidelbergCement, Fraport, Delhaize, Orange und Lufthansa zu finden.

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Auch bei uns in der Schweiz stehen die Publikumsgesellschaften und ihre Entscheidungsträger unter einem ungeheuren Druck. Die Aktionäre fordern einen immer noch höheren Gewinn und eine grosszügige Dividende, was jedoch den kreditgebenden Banken nicht gefallen dürfte, steht für sie doch eine gesunde Bilanz im Vordergrund - von den Interessen der Kunden, Mitarbeiter und allen anderen Anspruchsgruppen gar nicht erst zu sprechen.

Kommt dazu, dass die Börse einem Haifischbecken gleicht. Fressen oder gefressen werden, so lautet die Direktive. Wenn ein Unternehmen über eine längere Zeit den Erwartungen nicht gerecht wird, droht es den finanzkräftigen "Heuschrecken" aus der Private Equity oder der Hedgefonds Industrie zum Opfer zu fallen.

Dieser Druck drängt Publikumsgesellschaften geradezu zu kurzfristigen Gewinn- und Bilanzoptimierungen. So wird versucht, den eigenen Aktionären und den kreditgebenden Banken mit Leistungen zu imponieren, die in der Realität gar nicht erbracht wurden. Einige Unternehmen sind richtig kreativ, wenn es darum geht, im Rahmen der legalen Möglichkeiten Optimierung zu betreiben.

Meist rächt sich das dann aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft, wenn ausserordentliche Goodwill-Abschreibungen, Wertberichtigungen oder gar eine verwässernde Kapitalerhöhung drohen.

Gerade die Zurich Insurance Group steht in der Kritik, in den letzten Jahren "gesündigt" zu haben. Daran ist der traditionsreiche Versicherungskonzern selber nicht ganz unschuldig. Schliesslich musste er in jüngster Vergangenheit doch mehr als einmal Nachreservierungen einräumen. Weitere schmerzhafte Bilanzbereinigungen werden wohl oder übel folgen (siehe Kolumne vom 16. März).

Mit Swiss Re rückt nun ein weiterer Vertreter aus der hiesigen Versicherungsindustrie ins Zentrum dieser leidigen Diskussion. Schuld ist eine Sektorenstudie der Berenberg Bank. Auch wenn es deren Autoren nicht explizit schreiben, so lassen sie zumindest durchblicken, dass der Rückversicherungskonzern aus Zürich nach mehreren schadenarmen Jahren in Folge nachlässig bei Stärkung der Reserven geworden sei.

So lange es nicht zu grösseren Naturkatastrophen komme, sei alles kein Problem. Falls doch, würden solche Ereignisse die laufende Rechnung allerdings überdurchschnittlich stark belasten, so warnen die Experten. Das erklärt auch, weshalb ihre Gewinnprognosen um bis zu 12 Prozent unter den Konsensschätzungen liegen.

Nur dank ausbleibenden Naturkatastrophen prasselte in den letzten Jahren ein nicht enden wollender Geldregen über die Aktionäre von Swiss Re hernieder. Bleibt bloss zu hoffen, dass die nachlässige Reservepolitik nicht eines Tages zum Bumerang für das Unternehmen und seine Anspruchsgruppen wird.
 

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