Was treibt den europäischen Anleihenmarkt derzeit um?

Die Volatilität, die den europäischen Anleihenmarkt schon 2015 massgeblich beeinflusst hatte, hält auch 2016 an. 2015 war von enorm hoher Volatilität der Staatsanleihenrenditen und der Kreditspreads geprägt, da das von Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), schlecht kommunizierte Ausmass der geplanten geldpolitischen Lockerungsmassnahmen (QE) für massive Enttäuschung bei den Marktteilnehmern sorgte. Die März-Sitzung der EZB brachte dann allerdings eine positive Überraschung, da die angekündigten Anreize sämtliche Erwartungen haushoch übertrafen.

Die Kursreaktionen nach der Sitzung illustrieren, wie der europäische Unternehmensanleihenmarkt die Ankündigung Mario Draghis aufgenommen hat.. Die Kreditspreads erweiterten sich aufgrund der Lockerung der Kreditbedingungen und der Ausweitung der QE-Massnahmen auf breiter Front. Die Inflationserwartungen änderten sich dagegen kaum, was darauf hindeutet, dass der Markt nicht von der Wirksamkeit der Zentralbankmassnahmen überzeugt ist. Sie dürften zwar eine gewisse Wirkung entfalten, doch der europäische Kreditmarkt wird eher von den Ereignissen in der restlichen Welt getaktet sein – Wachstumsverlangsamung in China, Rezessionsgefahr in den USA und Sorgen um die Rohstoffpreise.

Wie stellen sich die Aussichten für europäische Unternehmensanleihen angesichts dieser QE-Massnahmen dar?

Eine Senkung des Einlagensatzes in dieser Höhe war weithin erwartet worden, während andere Schritte wie die Reduzierung des Refinanzierungssatzes und die Ausweitung der Anleihenkäufe unter Einbeziehung von Unternehmensanleihen hingegen völlig überraschend kamen. Die Zentralbankkäufe von Unternehmensanleihen dürften dem europäischen Corporates-Markt gewaltigen Auftrieb verleihen. Die Ankündigung von Mario Draghi kam deshalb unerwartet, weil wir noch vor der Berücksichtigung von Unternehmensanleihenkäufen erst einmal mit einer Anpassung der Staatsanleihenkäufe gerechnet hatten.

Die Einzelheiten dieses Rückkaufprogramms der EZB sind derzeit noch nicht bekannt. Obwohl es als Absichtserklärung zu werten ist und positive Signale setzt, besteht die Gefahr, dass die EZB bei ihren Käufen von Corporates nicht konsequent vorgeht. Ob dieser Fall eintritt, wird sich im weiteren Jahresverlauf zeigen. Bis dahin werden Anleger Kreditpapiere kaufen, Unternehmen die Gunst der Stunde für Neuemissionen nutzen und die Investoren höhere Risiken eingehen. Davon werden die europäischen Kreditmärkte auf kurze Sicht zwar in hohem Masse profitieren, doch die langfristigen Auswirkungen verzerrter Kreditspreads auf das Risiko sollten nicht verharmlost werden. Darüber hinaus könnte die positive Dynamik der EZB auch durch andere Faktoren ausgehebelt werden: Die Sorgen um einen Brexit im Juni könnten die Marktstimmung zwischenzeitlich belasten, während die Risikobereitschaft massgeblich von Rohstoffpreisen und chinesischem Wachstum beeinflusst wird.

Wenn mich die Aussichten für europäische Unternehmensanleihen überzeugen, sollte ich stattdessen nicht lieber direkt in europäische Aktien investieren?

Mit einer Anlage in EUR-Corporate-Anleihen investieren Anleger auf einer höheren Ebene der Kapitalstruktur. Daneben bietet diese Anlageklasse regelmässige Erträge in Form von Kupons – die für eine Anleihe gezahlten Zinsen. Die Höhe des Kupons hängt von der Fähigkeit des Unternehmens zur Generierung von Cashflows ab. Sobald sich das Wachstum abschwächt, können Anlagen, deren Wertentwicklung von künftigen Erträgen (KGV) bestimmt wird, wie z. B. europäische Aktien, in Rückstand zu EUR-Unternehmensanleihen geraten.

Auch besteht eine hohe Nachfrage nach der Assetklasse, denn die EZB wird in Kürze mit ihren Rückkäufen beginnen. Das trifft aber nicht auf Aktien zu – zumindest noch nicht.

Ist Illiquidität ein Thema in dieser Anlageklasse?

Die Liquidität des europäischen Anleihenmarktes bereitet Investoren derzeit grosse Sorge, vor allem im Hinblick auf die Ankündigung von EZB-Chef Draghi, die EZB werde künftig auch Unternehmensanleihen kaufen. Der Markt hofft derzeit, dass die QE-Massnahmen die Emissionstätigkeit am Primärmarkt beflügeln und dass die EZB ihre Käufe am Sekundärmarkt beschränkt.

Können Sie uns einen günstigen Anlagezeitpunkt nennen?

Wir sind davon überzeugt, dass der richtige Zeitpunkt für Anlagen in Unternehmensanleihen gekommen ist. Unserer Auffassung nach bleiben sie auf mittlere Sicht gegenüber Staatsanleihen attraktiv, vor allem angesichts der extrem niedrigen Zinsen und Nominalrenditen. An den Kreditmärkten empfiehlt sich ein Bottom-up-Ansatz, um eine schmerzhafte Erosion des Renditepotenzials auszuschalten.

Der von Aberdeen für Anlagen in Kreditpapiere verwendete Prozess beruht auf drei Schlüsselfunktionen mit Unterstützung durch eine vierte Funktion, nämlich die Risikoüberwachung, die in die drei erstgenannten Funktionen eingebettet ist.

Kredit-Research:
Wir glauben an eigenes fundamentales Research, das unabhängig und zukunftsgerichtet auf der Ebene der regionalen Teams erfolgt. Für jedes Unternehmen, in das wir investieren, erstellen wir eine fundamentale Beurteilung auf der Grundlage einer detaillierten Analyse und Modellierung der Bilanz, um zu einem zukunftsorientierten fundamentalen Rating zu gelangen. Das Research des betreffenden Landes und seiner Währung ist ein kritisches Element des Prozesses zur Analyse der Emittenten und der Branchen bzw. Sektoren.

Relative Value:
Für die Festlegung von Bewertungszielen ist in oberster Instanz der zuständige Portfoliomanager mit Unterstützung durch Analysten und Trader verantwortlich. Die Festlegung von Zielen ist ein wichtiges Element. Eingebettet in den Prozess ist die preisliche Quantifizierung der Fundamentaldaten, der Komplexität der Kapitalstruktur, des Timings sowie der Sicherheit von Cashflows, der Liquidität und der Kosten für Absicherungsgeschäfte etc. Kauf-/Verkaufsentscheidungen werden von Renditeerwartungen ausgelöst, die wiederum von diesen Zielen gesteuert werden.

Portfolioaufbau:
Die Entscheidungen hinsichtlich Grösse der Positionen und Gewichtung der Sektoren zur Anpassung des Risikobudgets an die Renditeziele basieren auf dem fundamentalen Researchprozess. Die Rechenschaftspflicht für diese Entscheidungen liegt beim leitenden Portfoliomanager, der von einem Team aus Researchanalysten, Portfolioanalysten und Tradern unterstützt wird. Die Einhaltung der Portfoliorichtlinien wird von unserem unabhängigen Compliance-Team überwacht.

Risikoüberwachung:
Für die Überwachung der Portfoliorisiken ist das Portfoliomanagementteam zuständig. Ziel ist die Maximierung der Wahrscheinlichkeit positiver Renditen bei gleichzeitiger Identifizierung, Messung und Steuerung der Risiken. Die Risikoüberwachung ist vollständig in den Investmentprozess eingebettet, und zwar vor, während und nach jeder Anlage, wobei permanentes Feedback vorgeschrieben ist. Die Identifizierung der Risiken ist ein zentrales Element und umfasst neben sonstigen relevanten Faktoren die Beurteilung und Berücksichtigung des jeweiligen Landes und seiner Währung sowie der Branche und der Unternehmen.

Risiko-
management

Risikomanagement

Risiko-
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Research

Relative Value

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Risikomanagement

 

Welche Erfahrungen haben Sie mit europäischen Unternehmensanleihen?

Aberdeen kann auf umfassende Erfahrungen für Anlagen in Unternehmensanleihen verweisen. Unser Verfahren für die Einzeltitelauswahl wurde bereits in den achtziger Jahren entwickelt und hat dank ständiger Optimierung seither stets sehr attraktive Ergebnisse erzielt. Der Fonds selbst wurde vor über zwölf Jahren, im Jahre 2003, aufgelegt. Die Mitglieder des europäischen Investmentteams haben Portfolios unter den unterschiedlichen Marktbedingungen gemanagt, wie beispielsweise während der Kreditkrise (2007-2009) und der Euro-Krise (2010-2012). Aufbauend auf diesen Erfahrungen haben wir unsere Risikosteuerung perfektioniert.


Worin besteht Ihr wichtigster Wettbewerbsvorteil?

  1. Globale Dimension. Auch im digitalen Zeitalter ist die Kenntnis des lokalen Marktes ausschlaggebend.
  2. Intensives Kredit-Research. Wir modellieren und analysieren jedes Unternehmen, in das wir investieren, und erstellen zukunftsgerichtete Ratings.
  3. Disziplinierte Relative Value-Analyse. Wir legen den Schwerpunkt auf Anlagen in unterbewertete Wertpapiere und meiden überbewertete Titel.
  4. Teambasierte Entscheidungsfindung. Wir verfügen über ein erfahrenes und gut eingespieltes Team mit sich gegenseitig ergänzenden Kompetenzen, in dem Starmanager keinen Platz haben.
  5. Solides Risikomanagement. Das Risikokonzept ist integraler Bestandteil unseres Prozesses.