In mindestens drei Ländern stehen in diesem Jahr Wahlen an, die das Fundament der Europäischen Union erschüttern könnten. Auf der anderen Seite ist es um das Wachstum in der Eurozone derzeit gut bestellt. Folglich sind in den kommenden Monaten zwei Szenarien möglich: Erstens, der Risikofaktor Politik dominiert das Geschehen oder zweitens, die positive Wirtschaftsentwicklung rückt wieder in den Fokus. Je nach Ausgangslage können sich Marktteilnehmer gezielt positionieren.

Den Kapitalmärkten stehen in den kommenden Wochen und Monaten spannende Zeiten bevor. Es sind weniger die Konjunkturdaten oder geldpolitischen Entscheidungen, welche derzeit den Investoren den Angstschweiss auf die Stirn treiben, vielmehr herrscht eine immense Unsicherheit bezüglich anstehender Regierungswahlen in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Marine Le Pen, Geert Wilders und Frauke Petry lauten dabei die »Schreckensgespenster«. Sie alle vereint, dass sie Vorsitzende von rechtspopulistischen Parteien sind, die gerne die Europäische Union in ihrer jetzigen Form samt dem Euro abschaffen würden.

Ein Blick auf die jüngsten Umfrageergebnisse zeigt, dass die Sorgen nicht unbegründet sind. In den Niederlanden, wo am 15. März als Erstes gewählt wird, liegt die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) nach Umfragen des Instituts Kantar/TNS derzeit klar vorne. Glaubt man den Untersuchungen, würde die Partei aktuell auf eine Zustimmung von 22 Prozent kommen. Das entspräche insgesamt 35 Sitzen. Die von Ministerpräsident Mark Rutte angeführte VVD, welche derzeit mit 40 Sitzen die stärkste Fraktion ist, würde mit 22 Sitzen lediglich zweitstärkste Kraft werden.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Frankreich: Auch hier sind die Eurogegner auf dem Vormarsch. In dem Nachbarland werden die Menschen rund einen Monat später – am 23. April – an die Urnen gerufen. Einer Befragung zufolge gelten Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen als die Favoriten. Der einst hoch gehandelte Kandidat der Konservativen, François Fillon, hat aufgrund einiger Affären zuletzt etwas an Zustimmung verloren. Mit rund 25 Prozent der Stimmen liegt Le Pen derzeit an der Spitze, würde die absolute Mehrheit aber klar verfehlen. In der Stichwahl am 7. Mai hätte sie aus heutiger Sicht gegen ihre Kontrahenten Macron und Fillon keine Chance (Grafiken 1 und 2).

Grafik 1: Le Pen im ersten Wahlgang wohl vorne, ...

Durchschnitt der im Februar durchgeführten Umfragen für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Stand: Februar 2017; Quelle: Wikipedia, Commerzbank Research

Grafik 2: ... in der Stichwahl aber klar hinten

Durchschnitt der im Februar durchgeführten Umfragen zu möglichen Stichwahlen

Stand: Februar 2017; Quelle: Wikipedia, Commerzbank Research

Frexit, Grexit, Italexit?
Dass die Anleger aber dennoch nervös sind, zeigt sich bereits am Kapitalmarkt. So ist der Renditeaufschlag französischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen auf den höchsten Stand seit Ende 2012 gestiegen. Die Commerzbank-Ökonomen gehen davon aus, dass – anders als beim »Brexit« – die Währungsunion bei einem »Frexit« kaum noch zu retten sei. Würde nämlich Frankreich wieder auf den Franc umstellen, hätte dies nicht nur eine Flucht aus französischen Bonds zur Folge, auch den Anleihen der Peripherieländer drohten dann massive Verkäufe und die Staaten würden den Zugang zum Kapitalmarkt verlieren. Die Folge wäre eine nahezu unreparierbare Staatsschuldenkrise.

Apropos Schuldenkrise: In Griechenland spitzt sich eine derartige gerade wieder zu. Im Zuge der Überprüfung des dritten Hilfsprogramms ist ein erneuter Streit ausgebrochen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) zeigt sich nämlich unentschlossen, sich erneut an dem Paket zu engagieren. Er fordert vielmehr von den Europäern, Griechenland stärker zu entlasten, da die Schuldenlast des Landes nicht tragfähig sei. Die Europäer wiederum pochen darauf, dass Griechenland dauerhaft einen Haushaltsüberschuss ohne Zinszahlungen auf die Staatsschulden von 3,5 Prozent erwirtschaftet – notfalls auch mit neuen Sparmassnahmen. Noch bleibt den Streithähnen etwas Zeit, aber Mitte Juli dürfte dem griechischen Finanzminister ohne Auszahlung der nächsten Rate das Geld ausgehen. Eine neue »Griechenland-Krise« könnte also vor der Tür stehen.

Konfliktpotenzial schwelt zudem in Italien. Seit dem verlorenen Referendum des ehemaligen Premierministers Matteo Renzi ist das Land politisch gelähmt. Womöglich stehen auch in diesem Land noch in 2017 Neuwahlen an. Aktuellen Umfragen zufolge liefern sich die Partito Democratico von Matteo Renzi und die EU-kritische 5-Sterne-Bewegung von Beppo Grillo ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils etwa 30 Prozent der Stimmen. Bei einer absoluten Mehrheit von Grillo würde der Austritt Italiens aus der Gemeinschaftswährung auf die Agenda kommen. Die Commerzbank-Volkswirte gehen aktuell jedoch davon aus, dass keine Partei die Mehrheit erhält und es somit zu keinem »Italexit« kommen wird.

Konjunkturelle Erholung schreitet voran
Aus wirtschaftlicher Sicht zeigt sich ein Silberstreif am Horizont in der südeuropäischen Nation. Die italienische Industrie verbuchte im Dezember den stärksten Produktionsanstieg seit 2010. Aber auch die Konjunkturdaten für ganz Europa deuten auf eine positive Entwicklung hin. Der Einkaufsmanagerindex der Eurozone (EMI) legte im Dezember auf den höchsten Wert seit 69 Monaten zu. Damit bleibt der Indikator seit Juli 2013 über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Auch zum Jahresauftakt 2017 präsentiert sich der Euroraum in guter Form. Die Produktionssteigerungsrate blieb im Januar auf ihrem 32-Monats-Hoch, die Auftrags- und Beschäftigungszuwächse fielen derweil so stark aus wie zuletzt im ersten Halbjahr 2011.

Die Europäische Kommission geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent gestiegen ist. 2017 könnte es nun zu einer geringen Verlangsamung auf 1,5 Prozent kommen, die Wirtschaft 2018 wieder Fahrt aufnehmen. Dann sehen die Experten erneut eine Expansion um 1,7 Prozent. Günstig auf die weitere Entwicklung der Unternehmen im Euroraum könnte sich die zuletzt schwächelnde Gemeinschaftswährung auswirken. Seit Oktober vergangenen Jahres hat der Euro gegenüber dem US-Dollar um mehr als 5 Prozent abgewertet. Die Divergenzen zwischen den beiden Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks sprechen für keine schnelle Wende. Während die Fed mit weiteren Zinserhöhungen plant, pumpt die EZB munter weiter billiges Geld in den Kreislauf.

Zwei mögliche Szenarien
Während aus konjunktureller Sicht die Ampeln auf Grün stehen, stellt sich die politische Lage, wie eingangs beschrieben, komplett anders dar. Solange die Wahlen wie ein Damoklesschwert über Europa hängen, bleibt auch das Marktgeschehen davon beherrscht. Grundsätzlich können zwei Szenarien eintreten, auf die sich Anleger vorbereiten sollten. Erstens: Die rechtspopulistischen Parteien feiern Siege und bringen damit Europa ins Wanken. Oder zweitens: Die EU-Befürworter entscheiden die Abstimmungen für sich und die Börsen werden sich wieder auf die Fundamentaldaten stürzen.

Sollte Fall 1 eintreten, gilt es, sich vor allem auf defensive Titel zu fokussieren. Unternehmen mit stabilen Gewinnen, stabilen Cashflows sowie stabilen Dividenden sind dann gefragt. Eines davon ist Roche. Der grösste Krebsmedikamentenhersteller konnte sogar in der Finanzkrise von 2007 bis 2009 Erlös und Gewinn relativ stabil halten. Die Dividende wurde während dieser Zeit sogar erhöht. Diese aktionärsfreundliche Politik der Basler hat bereits Tradition, zum 30. Mal in Folge wird die Gewinnausschüttung in diesem Jahr zunehmen.

Diese Steigerung geht einher mit einem starken Gewinnwachstum von 7 Prozent. Daran soll sich im laufenden Jahr nichts ändern. Roche rechnet mit einem Anstieg im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbetrag. Um auf Wachstumskurs zu bleiben, setzt der Pharmariese nicht nur auf Krebsmittel, das Unternehmen möchte zudem im florierenden Diabetes-Geschäft stärker mitmischen. Laut Schätzungen wird die Zahl der Erkrankten von heute weltweit rund 400 Millionen auf bis zu 600 Millionen im Jahr 2050 steigen. Folglich sieht der Marktführer in der Blutzuckermessung hier noch »enormes Potenzial«.

Ebenfalls auf die Zuckerkrankheit setzt Sanofi. Doch ist das nicht der einzige wichtige Bereich der Franzosen. Konzernchef Olivier Brandicourt ist gerade dabei, die Konzernstruktur neu zu gestalten, um die Abhängigkeit vom Diabetes-Geschäft zu reduzieren. Brandicourt setzt dabei unter anderem auf die Biotech-Tochter Genzyme sowie auf das Geschäft mit Impfstoffen und rezeptfreien Gesundheitsprodukten.

Dass Gesundheit immer Konjunktur hat, zeigt sich auch bei Fresenius, die sich auf einen nahezu endlosen Erfolgkurs befindet. Die Deutschen stemmen gerade die grösste Übernahme in der Geschichte des Unternehmens. Für fast 6 Milliarden Euro leibt sich Fresenius den spanischen Klinikbetreiber Quironsalud ein und baut dadurch seine Position als führender privater Klinikbetreiber in Europa deutlich aus. Aber nicht nur im Healthcare-Bereich sind defensive Qualitätstitel zu finden, auch die Sektoren Nahrung und Telekommunikation zählen zu dieser Kategorie. In diesen Segmenten sind unter anderem Nestlé und die Deutsche Telekom zwei Grössen, an denen Anleger nicht vorbeikommen.

Grafik 3: Entwicklung Euro/US-Dollar-Wechselkurs

Stand: Februar 2017; Quelle: Reuters

Grafik 4: Wertentwicklung des EURO STOXX 50

Stand: Februar 2017; Quelle: Reuters

Gefragte Zykliker
Bleibt es auf politischer Ebene dagegen ruhig, würden die guten Konjunkturaussichten, die niedrigen Zinsen sowie der günstige Euro wieder in den Vordergrund treten. Begünstigt wären dann eher zyklische Titel wie zum Beispiel Europas grösster Softwarekonzern SAP. Das Unternehmen ist aber nicht nur auf dem alten Kontinent präsent, auch von den USA verspricht sich CEO Bill McDermott viel. Er sieht SAP als Gewinner von »Trumponomics«.

Ebenfalls einen zusätzlichen Wachstumsschub aus Übersee hält LafargeHolcim für möglich. Von dem Infrastrukturprogramm des neuen US-Präsidenten Donald Trump möchte sich das französisch-schweizerische Unternehmen eine Scheibe abschneiden. In Frage kommen beispielsweise Projekte wie Brücken und Flughäfen.

Zu den Konjunkturgewinnern zählt zudem der Elektrokonzern ABB. Dieser erzielte zuletzt erstmals seit zwei Jahren wieder einen leichten Zuwachs in den Auftragsbüchern auf Quartalsebene. Hoffnungen setzt das Unternehmen auch auf die USA. »ABB ist optimal aufgestellt, um von der Dynamik zu profitieren«, zeigt sich Vorstandschef Ulrich Spiesshofer zuversichtlich. Auch Renault und Infineon kommt eine florierende Wirtschaft entgegen. Der französische Autobauer, der stark von Europa abhängig ist, wächst derzeit schneller als der Markt. Renault verkaufte allein im Januar 10,4 Prozent mehr Fahrzeuge als vor Jahresfrist.

Mit Pkws macht auch die Münchner Infineon gute Geschäfte. Knapp 40 Prozent der Umsätze und einen grossen Teil der Gewinne erzielt der Konzern im Automobilbereich. Besonders die zunehmende Digitalisierung im Fahrzeug spielt dem Unternehmen in die Hände.