Der Crash an der Wall Street löste einen Schock aus. Bereits weniger spektakulär war das Ausscheiden von Lateinamerikas grösster Nation aus der Fussball-WM 2014 nach der 7:1 Niederlage im Halbfinale - ausser für die Brasilianer natürlich, die dies ungläubig und verwirrt mit ansehen mussten. Im Vergleich zu diesen Ereignissen ist von der schon lange vorhergesagten Anhebung der US-Zinsen, die nun bis Ende des Jahres erfolgen soll, jedoch wirklich keine grosse Schockwelle mehr zu erwarten. Entgegen aller Warnungen sollten sich Anleger, die Schwellenländeranleihen halten daher keine allzu grossen Sorgen machen – selbstgefällig in Sicherheit wiegen sollten sie sich aber auch nicht.

Panik ist zum Teil schon deshalb überflüssig, weil die Zinserhöhung schon so lange und so ausführlich diskutiert wurde. Seit Monaten, wenn nicht Jahren, ist sie auf den Finanzmärkten in aller Munde und lässt Anleger jedes Wort von Fed-Chef Alan Greenspan und später dann seiner Nachfolgerin Janet Yellen auf die Goldwaage legen und interpretieren wie Professoren für englische Literatur dies mit den bekanntermassen schwer zugänglichen Werken des irischen Autors James Joyce zu tun pflegen. Die Renditen von Schwellenländeranleihen wurden aber schon nach oben korrigiert und an die erwartete US- Zinserhöhung angepasst und es ist schwer vorstellbar, dass sie noch viel weiter steigen werden, wenn die Erhöhung dann tatsächlich eintritt. Ein und dieselbe Sache kann die Finanzmärkte nicht ewig beschäftigen, denn deren Spannung lässt unweigerlich irgendwann nach.

Gut geführte Unternehmen in den Schwellenländern hatten ebenfalls ausreichend Zeit, sich auf eine Zinserhöhung der Federal Reserve, den dann zu erwartenden Abzug von Geldern aus der Region und deren Reinvestment in US-Werte und damit auf eine vorübergehende Verknappung der Liquidität auf den Anleihemärkten der Schwellenländer vorzubereiten. Die meisten dieser Unternehmen sollten in der Lage sein, ihren Finanzbedarf über lokale Banken abzudecken, bis sich der Sturm verzogen hat.

Wer Staats- oder Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern hält, die eng an die USA gekoppelt sind, sollte darüber hinaus nicht vergessen, dass die Gründe für die zu erwartende US-Zinserhöhung positiv sind: die US-Wirtschaft ist stark, und das ist gut für die Wirtschaft vieler Länder und deren Anleihemärkte; auch und insbesondere Mexiko sollte hiervon profitieren.

Skeptiker, d.h. jene die Schwellenländeranleihen kritisch gegenüberstehen, haben ins Feld geführt, Schwellenländermärkte würden zu sehr von fallenden Rohstoffpreisen in Mitleidenschaft gezogen. Damit macht man es sich aber etwas zu einfach. Die Preise für Öl und Eisenerz sind deutlich gefallen. Aber der Wert mancher Agrarerzeugnisse ist aufgrund des globalen Bevölkerungswachstums und der schnell wachsenden Mittelschicht in den Schwellenländern gestiegen. Die Nachfrage nach Rindfleisch und Milchprodukten aus Brasilien und anderen Lebensmitteln aus Schwellenländern steigt. Chinas wachsende Bourgeoisie ist hungrig - und sie hat Appetit auf Hamburger.

Andere Bedenkenträger lassen ausser Acht, dass Reformen in einzelnen Schwellenländern eine wirklich grosse Rolle spielen. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat nach ihrer Wiederwahl im Oktober 2014 eine sehr viel strengere Haushaltspolitik verfolgt und die Anleihemärkte des Landes damit positiv überrascht. In Mexiko hat Präsident Enrique Peña Nieto Steuerreformen eingeführt und wird das Land wahrscheinlich von seinem wenig beneidenswerten Status als schlechtester Steuereintreiber aller entwickelten Länder befreien: 2012 lagen die Steuereinnahmen das Landes mit nur 19,6 Prozent des BIP auf dem niedrigsten Stand aller OECD-Mitgliedsstaaten. In Indien hat der seit Mai 2014 amtierende, wirtschaftsfreundliche Premierminister Narendra Modi bürokratische Hindernisse abgebaut, um es Unternehmen einfacher zu machen, die umweltrechtlichen Genehmigungen für die Eröffnung einer Betriebsstätte zu erlangen. Zum Beispiel wurde bei den Kohleförderlizenzen auf offene Auktionsverfahren umgestellt usw. Damit sollte es gelingen, Indiens Wirtschaftswachstum auf relativ hohem Niveau zu halten, was auch den Staats- und Unternehmensanleihen des Landes zugute käme.

Für einige Volkswirtschaften wird es schwieriger werden - ihre Anleihen und Währungen werden unter Druck geraten. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, zu diversifizieren und in Schwellenländeranleihen vieler unterschiedlicher Länder zu investieren. Niemand kann vorhersagen, wo die nächste politische oder finanzielle Krise eintreten wird – ob nun in Schwellenländern oder in den entwickelten Märkten. Andererseits wäre es doch äusserst merkwürdig, wenn so unterschiedliche Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate (ein kleines Land mit grossen Ölreserven und einem hohen Leistungsbilanzüberschuss), Mexiko (ein grosses Land, das im reichen Fahrwasser der USA gedeiht) und Indonesien (mit einer Bevölkerung von 253 Millionen und der Aussicht, sich zu einem der grössten Absatzmärkte für Konsumgüter in Asien zu entwickeln) zur gleichen Zeit in eine Krise schlitterten.

Die Notwendigkeit der Diversifikation spricht für einen ausgewogenen, gemischten Ansatz, mit dem in Staats- und Unternehmensanleihen in lokaler und in harter Währung investiert wird. Schwellenländerwährungen können starken Schwankungen unterliegen und das kann nervenaufreibend sein. Das muss es aber nicht sein, wenn man für die Anlage in bestimmten lokalen Anleihewährungen Gegengewichte schafft, indem man auch in Dollar begebene Anleihen aus anderen Regionen weltweit sowie in lokaler Währung begebene Staatsanleihen anderer Länder im Portfolio hält. Einige Währungen bieten sich hier besonders an, da sie von gegensätzlichen Faktoren getrieben werden und ihre Auf- und Abwärtsbewegungen daher ein natürliches Gleichgewicht bilden. Dies gilt zum Beispiel für das ölreiche Russland, dessen Währung vom potenziellen Wiederanstieg der Ölpreise profitieren sollte, und das ölarme Indonesien, dessen Rupie vom niedrigen Ölpreis profitiert, der das Leistungsbilanzdefizit des Landes schrumpfen lässt.

Schwellenländer werden immer wieder mit Schwierigkeiten konfrontiert sein, aber wir sollten nicht vergessen, dass die Mehrheit von ihnen nie gleichzeitig in einer Krise stecken wird, da sie nicht alle gleichermassen von den gleichen Phänomenen beeinflusst werden. Eine einzelne politische Massnahme - wie die Anhebung der US-Zinsen - wird nicht alle Schwellenländer treffen und nicht alle werden sich die Wunden lecken müssen. Eine einzelne wirtschaftliche Veränderung - wie das Steigen oder Fallen der Ölpreise - wird ebenfalls nicht alle Schwellenländer in Schwierigkeiten bringen. Beim Investieren in Schwellenländeranleihen liegt die Kunst unter anderem darin, Anleihen dann zu kaufen, wenn andere sie aufgrund solcher Ereignisse überstürzt abstossen und sich auf die entscheidenden Fragen erst hinterher besinnen.