Das Thema lag schon lange in der Luft, Professor Larry Summers, der ehemalige US-Staatssekretär hat dazu das Stichwort geliefert, das einschlug: secular stagnation - Stagnation, die nicht so schnell vorübergeht. Seither ist das Wort in aller Munde. Auch Paul Krugman, der andere linke Vordenker in den USA, stimmt zu. Dasselbe habe er schon immer gedacht, nur leider nicht so gut formuliert wie Kollege und Konkurrent Summers.

Die These in Kürze: Vollbeschäftigung und Wachstum, also das Gegenteil von Stagnation, setzt ein gewisses Zinsniveau voraus. Stellen wir uns nun vor - so Summers vor einem hochkarätigen Publikum -, dieser Gleichgewichtszins sei aus irgendeinem Grund unter null gesunken. Dann könnten die Zentralbanken auch mit einer Nullzinspolitik keinen Aufschwung herbeiführen. Jede Abkehr von der Politik der tiefen Zinsen und der hohen Staatsausgaben aber würde - immer unter der Annahme eines negativen Gleichgewichtszinses - die Stagnation in eine tiefe Rezession verwandeln. Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten seien hinzunehmen, weil sie immerhin für ein wenig Nachfrage sorgen. Kurz: Wir müssen mit der Stagnation leben lernen und uns an tiefe Zinsen und hohe Staatsdefizite gewöhnen. Alles andere sei noch viel schlimmer.

Seither wird in linken Foren darüber diskutiert, warum der Gleichgewichtszins unter null gesunken sei. Favoriten sind die sinkenden Geburtenraten und eine - ebenfalls säkulare - Innovationsschwäche. In rechten Foren wird weiterhin davor gewarnt, dass tiefe Zinsen Blasen und eine Inflation auslösen und dass hohe Staatsdefizite private Investitionen (ins Ausland) verdrängen.

Vor wenigen Tagen hat sich Krugman in seinem Blog einem ganz anderen Thema zugewandt: Er ist für eine Erhöhung des Mindestlohns von 7,25 auf 10,10 Dollar. "Weil man diesen Leuten helfen muss" und weil es "keinerlei Belege dafür gibt, dass eine Erhöhung des Mindestlohns zu einem Rückgang der Beschäftigung führt."

Krugman erwähnt mit keinem Wort, dass in den USA nicht nur die Mindestlöhne zu tief sind, sondern auch der Median-, der Durchschnittlohn und das Lohnniveau insgesamt. Dabei ist genau dies das Hauptproblem der Weltwirtschaft und die wichtigste Ursache dafür, dass die Stagnation säkular geworden ist. In den USA, in allen Euroländern mit Ausnahme Frankreichs, in England und in Japan sind die Preise so hoch und die Löhne so tief, dass dem Unternehmenssektor auch nach Dividenden und Investitionen Jahr für Jahr hunderte Milliarden Euro übrigbleiben. Das ist der Sparüberhang, das ist das Geld, das die Zentralbanken und Regierungen wieder in die Wirtschaft zurückpumpen müssen, um die drohende Depression wenigstens in eine säkulare Stagnation zu verwandeln.

Krugman, Summers und Konsorten sind wie Chirurgen, die auch einer Grippe mit dem Skalpell zu Leibe rücken, weil sie halt nur dieses Instrument kennen. Einverstanden, höhere Staatschulden, tiefe Notenbankzinsen und Quantitative Easing sind besser als nichts. Aber noch besser wäre es, das Übel an der Wurzel zu packen, nämlich am Arbeitsmarkt. Erst wenn die Konsumenten wieder mehr ausgeben können, gibt es keinen Sparüberhang mehr und die Zinsen steigen automatisch wieder auf einst normale Höhen. Summers hat vermutlich recht, dass der Gleichgewichtzins heute deutlich im negativen Bereich liegt, doch er macht es sich zu leicht, wenn es das einfach als "säkulare" Erscheinung abtut, die irgendwie vom Himmel fällt.

Doch wenn Summers und Krugman schon auf ihrer etwas weltfremden Theorie beharren, dann sollen sie ihre Idee wenigstens konsequent zu Ende denken und einen kräftigen Negativzins fordern. Der Dollar und der Euro müssten zum Schwundgeld werden. Dass, und wie das funktioniert, hat Michael Unterguggenberger, der Bürgermeister der Tiroler Gemeinde Wörgl vordemonstriert. Er gab 1932 Geld mit einem negativen Zins von monatlich 1 Prozent aus und brachte so die örtliche Wirtschaft innert Monaten auf Trab. Praktisch läuft das auf eine Enteignung der Sparer hinaus. Das ist genau das, was die Weltwirtschaft heute braucht. Das, oder höhere Löhne.