Trotz umfangreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse herrscht in unserer Bevölkerung kein Konsens in Bezug auf wichtige Fragen unserer Lebensqualität. Typische Beispiele sind Klimawandel, Nano- und Gentechnologie sowie Geld- und Wirtschaftspolitik. Demokratien sind jedoch in ganz besonderer Weise darauf angewiesen, dass breite Bevölkerungsschichten wissenschaftliche Erkenntnisse unverzerrt wahrnehmen und vorurteilsfrei bei ihren Entscheidungen berücksichtigen.

Vor diesem Hintergrund sollten Demokratien umso besser funktionieren, je gebildeter die Bevölkerung ist, da mit zunehmendem Bildungsgrad annahmegemäss wissenschaftliche Erkenntnisse besser verstanden und im politischen Entscheidungsprozess eher in rationaler Weise berücksichtigt werden. Allerdings steht diese Annahme offenbar auf wackeligen Beinen.

Dan M. Kahan, Ellen Peters, Erica Cantrell Dawson und Paul Slovic zeigen anhand mehrerer Experimente, dass die Verarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse mit zunehmendem Bildungsgrad nicht rationaler und wertfreier wird. Im Gegenteil! Mit zunehmendem Bildungsgrad steigt die Gefahr, dass wissenschaftliche Erkenntnisse verzerrt und selektiv interpretiert werden, anstatt sie werturteilsfrei zur Verbesserung des gesellschaftlichen Wohlstandes anzuwenden.

Die eigene Position nicht aufs Spiel setzen

Der Grund hierfür liegt darin, dass viele Menschen hohe psychische und materielle Anreize haben, ihr Ansehen und ihren Status innerhalb ihrer wichtigsten Bezugsgruppen aufrechtzuerhalten. Sobald wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundüberzeugungen dieser Bezugsgruppen gefährden, ist es für viele Menschen "rational", diese Erkenntnisse verzerrt und selektiv zu interpretieren, um ihre Zugehörigkeit zu und ihre Position in solchen Bezugsgruppen nicht aufs Spiel zu setzen.

Mit zunehmendem Bildungsgrad steigt nun zwar einerseits die Fähigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse besser zu verstehen. Zugleich steigt aber auch die Fähigkeit, diese Erkenntnisse selektiv zu interpretieren und werturteilsbezogen zu verzerren.

Sobald der zweite Effekt überwiegt, leidet die gesellschaftliche Wohlfahrt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse geht, die gesellschaftlich polarisierende Grundüberzeugungen in Frage stellen.

Die Ergebnisse der Studien von Kahan, Peters, Dawson und Slovic zeigen, dass der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt allein nicht ausreicht, um unsere Lebensqualität kontinuierlich zu verbessern. Insbesondere Demokratien müssen auch lernen, die Interpretations- und Kommunikationsprobleme bei der politischen Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verringern.