Ich gehöre nicht zu den 16'347 Personen, die heuer von den Medien gefragt wurden, was ihnen zum 1. August einfalle. Frustriert schwor ich Rache, wurde aktiv und beschloss, diese Kolumne honorarfrei unserem Nationalfeiertag zu widmen.

Um zu verhindern, Dinge zu schreiben, die schon den anderen in den Sinn gekommen waren, las ich mich quer durch die Wochenend-Ausgaben unserer anzeigenarmen Printmedien.

Also las ich, in der Schweiz herrsche verbreitet Angstkultur. Wer satt und fett sei, fürchte sich vor Veränderung. Das Rütli dürfe nicht zu einem Disneyland verkommen. Wir Schweizer litten unter europhiler Europhobie. Widerspruch bringe die Schweiz voran, nicht Einigkeit. Die Schweiz sei ein Weltmodell, aber für alle, nicht für wenige. Wir müssten mutig den Sprung ins kalte Wasser wagen. Und all dies mit Freiwilligkeit, Präzision, Können, Verwurzelung, Offenheit, Freude, Aussicht und Alpenglühen. Unser Land sei die Sensation des Normalen, denn die Souveränität bestehe darin, dass garantiert nichts passiere, es genüge ja, wenn die Schweiz ihre Schwäche intelligent nutze. Und eigentlich gebe es sowieso nichts typisch schweizerisches. Begeistert nahm ich alsdann den Jubelschrei wahr: "Fröhliche Bratwurst!" Soeben sei nämlich ein neues helvetisches T-Shirt-Modell kreiert worden, das vom Ärmel bis zur Steppnaht ausschliesslich in der Schweiz hergestellt werde.

Alles Wichtige zum Geburtstag des Vaterlandes war damit gedacht, gesagt und geschrieben worden. Was könnte, sollte, müsste ich dem noch beifügen? Resigniert stocherte ich in den Gazetten weiter. Meine Geduld und Ausdauer wurden doppelt belohnt.

Mein Schulfreund Peter von Matt, dieser "urbane Intellektuelle und knorrige Innerschweizer" sagt in einem Interview der "NZZ am Sonntag": "Europa will die Schweiz. Sonst gäbe es sie schon lange nicht mehr. Ende des 18. Jahrhunderts war es einmal beinahe so weit. Napoleon hätte die Schweiz auflösen können.(...) Aber er fand das Land zum Schutz der Pässe dann doch ganz nützlich. Dann hat der Wiener Kongress die Grenzen der Schweiz und ihrer Kantone definitiv gezogen. Das geschah immer in einem europäischen Kontext, in komplizierten diplomatischen Verfahren."

Hoffentlich haben das auch jene gelesen, die immer wieder ernsthaft behaupten, die Schweiz sei aus eigener Kraft zu dem geworden, was sie heute sei.

Und Roger Schawinski beschreibt in der Weltwoche seine Überzeugung, die EU sei das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte: Erbfeindschaften mit all ihrem Unglück seien überwunden worden. Und er verstehe nicht, wie man hämisch und selbstgerecht die EU als intellektuelle Fehlkonstruktion bezeichnen könne.

Überhaupt ist sein Artikel "Glück, Dankbarkeit und Sorge" eine wunderschöne kleine Familiensaga, bedrückend und befreiend zugleich und erst noch erfrischend authentisch.

Danke Peter, danke Roger.