Ja, es gibt sie, die Hunderttausenden, die in der Schweiz einen schäbigen Lohn erhalten, der in vielen Regionen kaum oder nicht zum Leben reicht. Ja, es gibt sie, die Arbeitgeber, die in unanständiger Art kritische Situationen oder gar Notlagen missbrauchen, um Arbeitnehmer auszunutzen. Ja, es gibt das Verdienst der Gewerkschaften, in den meisten Bereichen des schweizerischen Arbeitsmarkts für eine massive Verbesserung gesorgt zu haben, im kooperativen Dialog mit der Wirtschaft, mit der öffentlichen Verwaltung, durch aggressiv ausgehandelte Gesamtarbeitsverträge.

Es gibt aber auch die Volksinitiativen, die eigentlich nur Marketingkampagnen sind, legitime zwar, aber halt doch eine Perversion unserer direkten Demokratie darstellen. Besonders weil sie zwar ohne Chance auf Zustimmung lanciert werden, aber irgendwie Druck ausüben sollen. Im Sinne von "Der Weg ist das Ziel". So haben wir auch am Abstimmungssonntag des 18.5. wieder einmal die wiederholte Siegeserklärung der Verlierer anhören müssen, die Mindestlohninitiative sei zwar gescheitert, aber nur schon ihre Existenz habe zu vielerlei Erfolgen geführt.

Nun ist es zwar so, dass niemand die Sozialdemokratischen Partei der Schweiz daran hindern kann, chancenlose Image-Kampagnen der JUSOS (1:12-Initiative) oder durchsichtige Mitgliederwerbung der Gewerkschaften (Mindestlohn-Initiative) zu unterstützen. Das Problem ist nur, dass an denselben Sonntagen mehrere Abstimmungsvorlagen anfallen, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Mindestlohninitiative, die nicht einmal im feuerroten Wahlkreis 4/5 des rotgrünen Zürich Zustimmung fand, hat nach meiner Beurteilung viele ältere Mitte-Rechts-Wähler an die Urne getrieben. Sie haben der Pädo-Initiative zum Sieg verholfen, trotz des Widerstands der Linken und echt liberaler Kreise. Auch die Gripen-Vorlage, die noch vor kurzem keine Chance hatte, wurde von den gleichen Leuten fast zum Sieg geführt.

Der mehrheitlich bürgerliche Bundesrat hat also ein praktikables Instrument in der Hand, um bürgerliche Anliegen zu unterstützen: Heikle Vorlagen immer zusammen mit einer vielleicht gut gemeinten, aber schlecht durchdachten linken Initiativen auf denselben Abstimmungstermin anzusetzen. Und die SP sollte endlich aufhören, der SVP vorzuwerfen, sie lanciere populistische Volksinitiativen lediglich mit dem Zweck der Profilierung, zur Mobilisierung der Basis, für den permanenten Kampf um Wähleranteile.