"Niemand schliesst den Verbleib [in der EU] als Wahlmöglichkeit aus", rief Brexit-Experte Keir Starmer den Delegierten in Liverpool zu - und erntete stehende Ovationen.

Die Delegierten sollten noch am Nachmittag über einen Antrag abstimmen, der die Option für ein zweites Brexit-Referendum "auf dem Tisch" lässt. Labour ist in der Frage tief zerstritten. Die Parteiführung um Parteichef Jeremy Corbyn steht einem zweiten Referendum kritisch gegenüber, aus Angst, linke Brexit-Wähler könnten der Arbeiterpartei ihre Stimme entziehen.

Corbyn und seine engsten Mitstreiter gelten aber auch selbst als EU-Skeptiker. Offiziell will Labour in erster Linie auf Neuwahlen hinarbeiten.

Die Forderung nach einem zweiten Referendum wird nur als letztes Mittel erwogen, um einen Brexit ohne Abkommen mit katastrophalen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche abzuwenden. Viele Labour-Mitglieder arbeiten aber vehement darauf hin.

Umstritten ist, welche Fragen den Wählern bei einem zweiten Brexit-Referendum vorlegt werden könnten. Eine einfache Wiederholung des Referendums aus dem Jahr 2016 gilt als höchst problematisch. Der Vorschlag von Schattenkanzler John McDonnell und anderen, eine Abkehr vom Brexit als Wahlmöglichkeit auszuschliessen, scheint sich aber auch nicht durchzusetzen.

Die Haltung der Opposition könnte entscheidend sein in der Frage, wie es mit dem EU-Austritt weitergeht. Die konservative Regierungschefin Theresa May verfügt nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Ihre Pläne für den EU-Austritt werden von der EU bisher abgelehnt und sind auch in ihren eigenen Reihen höchst umstritten.

Auch für den Fall, dass sich May mit Brüssel einig werden sollte, hat Labour angekündigt, die Regierung bei einer Abstimmung nicht zu unterstützen. Sollte May mit ihrem Brexit-Deal im Parlament scheitern, gelten eine Neuwahl oder ein zweites Referendum als möglich.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lehnt die Pläne der britischen Regierung zum Brexit ab. "Man kann nicht zum Binnenmarkt gehören, wenn man nur in einem Teil zum Binnenmarkt gehören will, in drei anderen Teilen aber nicht", sagte die CDU-Chefin am Dienstag beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin.

Premierministerin Theresa May will für die Zeit nach dem Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union einen möglichst ungehinderten Binnenmarktzugang beim Handel mit Waren. Die mit dem EU-Binnenmarkt verbundene Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Beispiel aber lehnt sie ab.

Merkel sagte, bei den Brexit-Verhandlungen gehe es im Herbst in die entscheidende Phase. In den nächsten sechs bis acht Wochen stehe "härteste Arbeit" bevor. Es sei aber derzeit unklar, was Grossbritannien eigentlich möchte. Vorstellbar sei ein "sehr intensives" Freihandelsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien.

May war mit ihren Vorschlägen zur Gestaltung des Brexits bei einem EU-Gipfel in Salzburg vorige Woche auf Ablehnung gestossen. Sie wertete dies als Affront und verlangte neue Vorschläge aus Brüssel. Der britische EU-Austritt ist für den 29. März 2019 angekündigt.

(SDA)