Ist ESG eigentlich ein Modethema? Das Kürzel tauchte in der Investment-Welt in den letzten Jahren tatsächlich immer häufiger auf.

Zurecht, allerdings. Denn ESG - es steht für "Environment, Social, Governance" oder deutsch: "Umwelt, Soziales und Unternehmensführung" - und nachhaltiges Anlegen werden auch zweifelnde Investorinnen und Investoren in Zukunft nicht mehr ignorieren können. Politische, gesetzliche und gesellschaftliche Entwicklungen in den letzten Jahren führten zu erhöhten ethische und nachhaltige Wertvorstellungen. Bei Unternehmen, bei Anlegerinnen und Anlegern

Das hat erhebliche Folgen für die Finanzindustrie: Laut dem Beratungsunternehmen PwC werden bis 2025 57 Prozent oder 7,6 Billionen Euro des Investmentfondsvermögens in Europa in Fonds gehalten, welche ESG-Faktoren berücksichtigen - verglichen mit rund 15 Prozent Ende 2019.

Die Bank Vontobel wollte herausfinden, inwiefern und in welchem Ausmass ESG-Kriterien bei kotierten Schweizer Unternehmen "gelebt" werden. In zwei aufwändigen Studien des Analysten-Teams "Aktien Schweiz" des Zürcher Vermögensverwalters sind interessante Ergebnisse herausgekommen. Die erste Studie erschien im letzten Oktober, die Nachfolgeuntersuchung im Mai 2021.

Bonusrelevante ESG-Leistungskennzahlen für das Management

Die wichtigsten Erkenntnisse: 66 Prozent (im letzten Oktober: 65 Prozent) der über 100 untersuchten börsenkotierten Schweizer Firmen verfügen über aussagekräftige Dokumentation bezüglich ESG-Firmenpolitik. Allerdings reichen die Dokumentationen von ein paar wenigen Seiten bis zu halben Büchern. Je grösser die Firma, desto eher werden ESG-Grundsätze nachgelebt. 

Bei 23 Prozent der untersuchten Firmen sind ESG-Leistungskennzahlen für das Management bonusrelevant. Das scheint relativ wenig, die Kennzahl ist aber von einem Messwert von 16 Prozent gegenüber der ersten Untersuchung im Oktober recht deutlich gestiegen. Es bleibt aber eine Herausforderung für die Unternehmen, "ein kohärentes Vergütungssystem zu etablieren, das aussagekräftige Leistungskennzahlen beinhaltet", schreiben die Studienverfasser.

Anhand von 15 Untersuchungskriterien wie ESG-Bewusstsein, Lohngleichheit oder Bestrebungen zu Emissionsreduktionen schälte sich ein Sieger heraus: Givaudan. Der marktführende Aroma- und Riechstoffhersteller, der 42 von 60 möglichen Punkten erreichte, belegte schon in der ersten Untersuchung im Oktober den Spitzenplatz. Den zweiten Platz teilen sich Geberit und Logitech. Dahinter folgen Belimo, Nestlé, Swiss Re, Zurich Insurance, Barry Callebaut, SGS, Temenos, Swisscom und ABB.

Quelle: Vontobel Equity Research.

"Nachhaltigkeit steht bei Givaudan schon seit Jahren im Zentrum unternehmerischen Handelns", schreiben die Vontobel-Analysten über den Schweizer ESG-Gewinner. Das Unternehmen, geführt seit 2005 von CEO Gilles Andrier, habe sich kürzlich zusätzlich ambitionierte Nachhaltigkeitziele gesetzt. So sollen Kohlestoffemissionen bis 2030 um 70 Prozent verringert werden. Einwegplastik soll auf allen Firmenniederlassungen ersetzt werden durch umweltfreundliches Material. Oder: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bis 2025 Zugang haben zu Firmeninitiativen, welche die mentale und physische Gesundheit fördern, schreibt Vontobel.

Die Aktie von Givaudan hat kontinuierlich zugelegt. Auf Sicht der letzten zehn Jahre zum Beispiel ist sie laut cash.ch-Daten um 460 Prozent gestiegen, was sie zu einem der Top-Performer im Swiss Market Index macht. Der Titel befindet sich derzeit auf einem Rekordstand.

Kursentwicklung der Aktie von Givaudan in den letzten fünf Jahren (Quelle: cash.ch)

Geberit schneidet im Vontobel-ESG-Ranking auf Platz zwei ab. Europas führender Anbieter von Sanitärprodukten führt laut Studie bereits seit 2004 ein umfassendes ESG-Reporting mit sichtbaren Verbesserungen bei den entsprechenden Leistungskennzahlen in fast jedem Jahr. Die Analysten bewerten Geberit als "Best-in-Class", sowohl in Bezug auf bereits erreichte Standards sowie bezüglich der weiteren Ambitionen. 

Geberit-Verwaltungsratspräsident Albert Baehny hat übrigens die gleiche Funktion beim Pharmazulieferer Lonza. Das Basler Unternehmen schafft es beim ESG-Ranking allerdings nicht in die vordersten Ränge. Die Geberit-Aktie kostete Mitte 2009 noch etwas mehr als 100 Franken, heute ist die Aktie auf dem Weg zur 700-Franken-Marke.

Kursentwicklung der Aktie von Geberit in den letzten zehn Jahren (Quelle: cash.ch)

Logitech, in der ESG-Untersuchung auf Platz zwei mit Geberit, "verfolgt einen umfassenden Nachhaltigkeitsansatz mit hoher Transparenz und klaren Zielen". Die Vontobel-Studie bescheinigt dem Computerzubehörhersteller "signifikant positive soziale und ökologische Wirkungen der Produkte". Die Top-Führungsremien fallen durch hohe Diversität auf, der Verwaltungsrat wird zudem mit Wendy Becker von einer Frau präsidiert. 

Die Aktie von Logitech ist einer der so genannten Corona-Gewinner, weil im Lauf der Pandemie die Nachfrage nach Webcams, Tastaturen, Computermäusen oder Tablets rasant zunahm. Die Aktie hat sich vom Corona-Tiefpunkt von März 2020 bis heute nicht weniger als verdreifacht. Auch die Langzeit-Leistung ist beachtlich: Die Performance in den letzten fünf Jahren beträgt 700 Prozent.

Kursentwicklung der Aktie von Logitech in den letzten fünf Jahren (Quelle: cash.ch)

Der Nischenplayer Belimo aus Hinwil ZH auf dem vierten Platz schafft es als einziges kleineres Unternehmen in die Schweizer ESG-Top-12. Gemessen an seiner Grösse verfügt Belimo – die elektrische Klappenstellantriebe für Heizung, Lüftung und Klima herstellt – laut Vontobel über ein beeindruckende ESG-Tracking und -Berichterstattung. Das Unternehmen investiert jährlich 8 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung, was auch dazu beiträgt, konstantes Wachstum und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Kritik äussert Vontobel indes an der Stimmrechtsbeschränkung für Aktionäre bei Belimo. 

Belimo verzeichnete im ersten Semester 2021 eine anhaltend starke Nachfrage, die Firma erwartet für das erste Halbjahr eine deutliche Steigerung des Umsatzes und der Profitabilität, wie die Firma Anfang Juni bekannt gab. Die Aktie von Belimo hat seit Ende 2016 rund 200 Prozent zugelegt. 

Kursentwicklung der Aktie von Belimo in den letzten zehn Jahren (Quelle: cash.ch)

Es mag auffallen, dass Aushängeschilder des Swiss Market Index wie die zwei Grossbanken (UBS, Credit Suisse) oder die beiden Basler Pharmakonzerne (Roche, Novartis) nicht unter den Top-ESG-Aktien der Schweiz figurieren. Im Bankenbereich sind es aber nicht die grösseren Unternehmen, welche ESG-Defizite ausweisen, so die Vontobel-Analysten, sondern die kleineren und mittelgrossen. Die Nachzügler müssen hier teils grössere Efforts unternehmen, um die Lücke zu den Grossen zu schliessen.

Ähnlich das Bild im Pharmabereich. Das Problem sind nicht die grosskapitalisierten Gesellschaften, sie weisen laut Vontobel den ESG-Weg in der Branche. Immerhin zeigen auch die Small- und Mid-Caps im Pharma- und Biotechbereich eine zunehmende Tendenz, ihre ESG-Bemühungen zu verstärken und diesbezüglich transparenter zu werden.

Insgesamt haben die ESG-Bewertungen der Schweizer Firmen vom ersten Ranking im Oktober 2020 zum Nachfolgebericht vom Mai 2021 "geringfügig verbessert", schreibt das Analysten-Team von Vontobel. "Ein Beweis dafür, dass ESG ein langfristiger Weg ist."