"Die Flucht aus risikobehafteten und konjunktursensitiven Anlagen wie Aktien geht auch am Donnerstag weiter", schreibt Andreas Lipkow, Marktstratege bei Comdirect. Die Konjunktur im Euroraum sende eindeutig negative Signale. "Verschärft wird die wirtschaftliche Situation durch die geopolitische Gemengelage und den Ereignissen rund um den Ukraine-Krieg." Der trete an den Finanzmärkten zwar etwas in den Hintergrund, habe an seiner Brisanz allerdings nichts verloren.

In Europa drückten am Donnerstag die Stimmungsdaten der Unternehmen aus der Euroregion auf die Laune der Anleger. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global fiel im Juni auf den tiefsten Stand seit knapp eineinhalb Jahren und auch stärker als Analysten erwartet hatten. "Die Zahlen enttäuschen auf ganzer Linie und die ungünstigen Rahmenbedingungen aus hohen Preisen, vor allem bei Rohstoffen und Vorprodukten, sowie die Lieferengpässe, Personalmangel und steigende Zinsen trüben die Perspektiven deutlicher als bisher", kommentierte Analyst Ralf Umlauf von der Helaba. Bereits tags zuvor hatte Fed-Chefs Jerome Powell eine Rezession in den USA nicht ausschliessen wollen.

Mit Blick auf die Einzelwerte standen vor allem Banken unter Druck. Als schwächster Dax-Wert verlor die Deutsche Bank satte 12,2 Prozent und sackte auf den tiefsten Stand seit Anfang März. Im MDax rutschten Papiere der Commerzbank um 11,8 Prozent hinab. Auf der Branche lastet die Sorge, dass die Menschen und Unternehmen im Fall einer Rezession Schwierigkeiten bekommen, Kredit zurückzuzahlen. Auch auf europäischem Parkett schnitten die Geldhäuser mit am schlechtesten ab.

Versorger nahmen hingegen einen Spitzenplatz ein, wovon auf dem deutschen Markt RWE profitierte. Papiere des Energiekonzerns legten im schwachen Dax um 0,6 Prozent zu. RWE gilt als Profiteur der Energiekrise, weil der Konzern sich auf Erneuerbare Energien konzentriert und für den Notfall noch Braunkohle-Kraftwerke in Bereitschaft hält. Schlecht lief es hingegen für den Kraftwerksbetreiber Uniper, Deutschlands grössten Importeur russischen Gases. Seine Papiere fielen infolge der von der Bundesregierung ausgerufenen Gas-Alarmstufe um 6,3 Prozent.

Doch nicht nur Energie ist knapp, sondern auch Lebensmittel. Die Debatte über das Thema Biosprit lässt die Anleger in diesen Zeiten nicht los: Die Papiere von Verbio erwischte es schwer mit einem Einbruch um fast 20 Prozent nach einem Medienbericht, wonach sich mehrere Länder innerhalb der G7-Gruppe dafür starkmachen, auf Vorschriften zur Verwendung vorübergehend zu verzichten.

Ansonsten standen vor allem Analysteneinschätzungen im Fokus - und die bezogen sich auf Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe. So wurden Aroundtown von JPMorgan auf "Underweight" abgestuft, was die Aktie mit 6,6 Prozent belastete. Zu den 5,6 Prozent leichteren Rheinmetall Aktien äusserte sich Analyst Richard Schramm von der britischen Bank HSBC nach starkem Lauf nun vorsichtiger.

Auf europäischem Parkett verlor der EuroStoxx 50 0,8 Prozent auf 3436,29 Punkte. Kursverluste von bis zu einem Prozent mussten auch jeweils die Leitindizes in Paris und London einstecken. In New York notierte der Dow Jones Industrial am späten Nachmittag knapp im Minus.

Der Euro kostete zuletzt 1,0508 US-Dollar. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs auf 1,0493 (Mittwoch: 1,0521) Dollar festgesetzt.

Kurse deutscher Bundesanleihen stiegen am Donnerstag deutlich. Die Umlaufrendite fiel im Gegenzug von 1,60 Prozent am Vortag auf 1,36 Prozent. Der Rentenindex Rex stieg um 1,16 Prozent auf 133,05 Punkte, während der Bund-Future um 1,19 Prozent auf 145,08 Punkte zulegte./jcf/tih/mis

--- Von Jan Christoph Freybott, dpa-AFX ---

(AWP)