Die grundlegende Linie hatte zu Wochenbeginn EZB-Präsidentin Christine Lagarde vorgegeben, indem sie bis zum Spätsommer ein Ende der negativen Leitzinsen in Aussicht stellte. Da der Satz für Bankeinlagen bei der EZB gegenwärtig minus 0,5 Prozent beträgt, ergibt sich aus dem Vorschlag Lagardes ein eher gemächliches Straffungstempo mit kleinen Zinsschritten um je 0,25 Prozentpunkten, beginnend wohl ab Juli. Den anschliessenden Kurs ab Herbst liess die Französin offen.

Dieses Vorgehen reicht einigen Notenbankern aber nicht aus. Am deutlichsten wurden bisher die Notenbankchefs von Österreich, den Niederlanden und Lettlands. Österreichs erster Währungshüter Robert Holzmann hatte schon am Dienstag für einen grossen Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte zum Start der geldpolitischen Wende im Juli votiert. Am Mittwoch sagte der niederländische Notenbankchef Klaas Knot, ein solcher Schritt sei trotz der Vorgaben Lagardes "nicht vom Tisch". Ähnlich positionierte sich der Notenbankpräsident Lettlands, Martins Kazaks.

Gegenwind kommt jedoch von EZB-Vertretern, die eher einer lockeren Geldpolitik zuneigen wie EZB-Direktor Fabio Panetta. "Wie andere grosse Zentralbanken stehen wir vor der Aufgabe, die Geldpolitik zu einem alles andere als normalen Zeitpunkt zu normalisieren", sagte Panetta am Mittwoch in Frankfurt. Die Notenbank sehe sich mit einer beispiellosen Abfolge ökonomischer Schocks konfrontiert, sagte der Italiener etwa mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. In dieser schwierigen Situation sei eine graduelle Straffung zu empfehlen.

In die gleiche Richtung gingen Bemerkungen von Finnlands Notenbankchef Olli Rehn, der ebenfalls für einen vorsichtigen Kurs und eine kleine erste Zinsanhebung im Juli plädierte. EZB-Vizepräsident Luis de Guindos gab sich unterdessen neutral. Er unterstrich den grundsätzlichen Ansatz der EZB, die Geldpolitik an der konjunkturellen Entwicklung auszurichten. "Lassen Sie uns abwarten, was passiert", sagte der Spanier dem Nachrichtensender Bloomberg TV.

Die EZB geht im internationalen Vergleich eher langsam gegen die seit Monaten hohe Inflation vor. Im Euroraum war die Teuerung zuletzt auf einen Rekordwert von 7,4 Prozent gestiegen. Ein wichtiger Grund sind wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Welthandel, die durch den Ukraine-Krieg verstärkt werden. Während andere Notenbanken wie die US-Zentralbank Federal Reserve ihre Leitzinsen schon mehrfach und teils deutlich angehoben haben, zögert die EZB noch mit einer Zinsstraffung. Ihre konjunkturstützenden Wertpapierkäufe hat sie aber bereits zurückgefahren.

Die EZB begründet ihren vorsichtigen Ansatz häufig damit, dass die Situation im Euroraum nicht mit der Lage insbesondere in den USA gleichzusetzen sei. So sei Europa stärker von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs betroffen. Auch seien die Lohnanstiege und die von ihm ausgehenden Inflationsgefahren in den USA wesentlich ausgeprägter als in der Eurozone. Kritiker monieren dennoch, die EZB hinke anderen Zentralbanken wie der Federal Reserve oder der Bank of England in der Inflationsbekämpfung hinterher./bgf/jsl/he

(AWP)