Zuversichtlich äusserte sich Draghi vor allem zur konjunkturellen Lage. Diese falle kräftiger aus und stehe zunehmend auf einem breiten Fundament. Auch die Preisentwicklung bewertete der Italiener optimistischer. Deflationäre Kräfte, die die Teuerung belasten, seien durch reflationäre Kräfte, also preissteigernde Faktoren, verdrängt worden, sagte er. Darüber hinaus werde die Teuerung überwiegend durch temporäre Faktoren gedämpft, weshalb die Inflation früher oder später anziehen sollte. Beispielhaft nannte Draghi die niedrigen Rohöl- und Rohstoffpreise.

EURO UND MARKTZINSEN STEIGEN

Der Euro reagierte auf die Äusserungen Draghis mit starken Kursgewinnen. Gegenüber dem US-Dollar legte er um gut einen Cent auf bis zu 1,1305 Dollar zu. Das ist der höchste Stand seit September 2016. An den Kapitalmärkten Europas und darüber hinaus stiegen die Zinsen für Staatsanleihen deutlich an. Am stärksten waren die Anstiege in Irland, Italien und Frankreich. Aber auch in Deutschland und den USA erhöhten sich die Renditen für Staatspapiere deutlich.

Aus dem Handel wurde die Marktreaktion vor allem mit den Aussagen Draghis zur Inflation begründet. Im Vergleich zu früheren Äusserungen zeigte sich Draghi wesentlich optimistischer, dass die Notenbank ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent wieder erreiche. Dies wiederum würde für eine weniger lockere Geldpolitik sprechen. Die schwache Inflation war ein Hauptgrund für die jahrelange extrem lockere Geldpolitik der EZB. Draghi habe einen ersten Schritt in Richtung einer weniger lockeren Geldpolitik getan, kommentierte Marco Valli, Chefvolkswirt für Europa bei der Grossbank Unicredit.

DRAGHI MAHNT ZUR VORSICHT

Bankökonomen rechnen zurzeit damit, dass die EZB im Spätsommer, vermutlich im September, die Weichen für eine weniger lockere Geldpolitik stellen wird. Es wird erwartet, dass sie dann den "Einstieg in den Ausstieg" aus ihren billionenschweren Wertpapierkäufen ankündigen wird. Vermutlich wird sie diese im Laufe des kommenden Jahres schrittweise auslaufen lassen. Mit einer ersten Anhebung des Leitzinses, der seit längerem an der Nulllinie klebt, dürfte sich die Notenbank aber noch viel Zeit lassen.

Bei aller Zuversicht mahnte der Notenbankchef aber auch zur Vorsicht. Jede Anpassung der geldpolitischen Ausrichtung müsse graduell erfolgen, betonte der Notenbankchef. So gebe es zum einen in der Wirtschaft viel Leerlauf, vor allem aufgrund der immer noch hohen Arbeitslosigkeit. Zum anderen sei der Inflationsanstieg noch nicht nachhaltig und selbsttragend.

GLOBALE UNWÄGBARKEITEN

"Wir brauchen Ausdauer in unserer Geldpolitik", erklärte Draghi. Zwar könne die EZB ihre Geldpolitik im Gleichschritt mit der wirtschaftlichen Erholung "anpassen" - von einer geldpolitischen Straffung wollte der Notenbankchef aber nicht sprechen. Für Vorsicht sprächen zudem zahlreiche globale Unwägbarkeiten./bgf/jsl/jha/

(AWP)