Die USA hatten im Januar hohe Einfuhrzölle auf Waschmaschinen und Solaranlagen erlassen, um - wie es hiess - heimische Arbeitsplätze zu schützen. China, Südkorea, die EU und andere haben deshalb bei der WTO Konsultationen mit den USA beantragt. Sie verlangen einen Ausgleich für die Handelsausfälle. Wenn die Beratungen scheitern, sind Vergeltungsmassnahmen nicht auszuschliessen. Die EU-Kommission führt ihrerseits bereits Listen von US-Produkten, die mit hohen Einfuhrzöllen belastet werden könnten - etwa Whiskey oder Motorräder.

Seit der globalen Wirtschaftskrise 2008 mit erhöhter Arbeitslosigkeit und geringem Wachstum sei die Gefahr von Handelskriegen gestiegen, erklärte Azevêdo. "Unter solchen Bedingungen steigt die Versuchung, die Grenzen zu schliessen. Eine solche Stimmung kann zum Handelskrieg führen. Das ist aber nicht passiert, noch nicht passiert. Es könnte kommen, aber ich hoffe nicht - wir sind sehr wachsam."

Die 164 WTO-Mitglieder handeln untereinander Verträge über den Abbau hoher Zölle, aber auch von sogenannten nicht-tarifären Hemmnissen wie Lizenzen oder technischen Vorgaben aus. Bei Streitigkeiten über Handelspraktiken kann ein Streitschlichtungsausschuss angerufen werden. Er kann Vergeltungsmassnahmen zulassen.

Azevêdo vermisst die früher übliche konstruktive Mitarbeit der USA. Diese hätten zwar Reformen bei der WTO angemahnt, auch schon vor dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump - aber sie blockierten etwa die Ernennung von Schiedsrichtern im Streitschlichtungsverfahren. "Das Problem ist: Ich sehe im Moment keine Gespräche, die uns glauben lassen, dass nach einer Lösung gesucht wird", so Azevêdo. Anzeichen, dass die USA die WTO verlassen könnten, sieht er aber nicht. "Sie sind Mitglied, und sie nehmen immer noch an den Diskussionen teil."

Zu den jüngsten von Trump durchgesetzten Steuersenkungen sagte Azevêdo: "Der Schlüssel erfolgreicher Steuerpolitik ist, dass sie Investitionen stimuliert, die Wirtschaft anregt und nachhaltig ist. Ich hoffe, die US-Politik erfüllt diese Voraussetzungen."

Für den WTO-Chef gibt es zur Globalisierung keine Alternative. Die Angst vor dem Verlust von Jobs sei in diesem Zusammenhang fehl am Platze: "Manche Leute denken, sie verlieren ihre Jobs wegen der Immigranten oder wegen hoher Einfuhren. Die Realität ist aber: 80 Prozent der Arbeitsplätze gehen wegen neuer Technologien, Innovationen und neuer Management-Strategien verloren."

Die Angst gebe populistischen Parteien wie der AfD Auftrieb, die für mehr Nationalstaatlichkeit eintreten. "Die Schliessung der Grenzen mag zwar wie eine einfache Lösung aussehen, nur geht man ja damit nicht an die Ursachen des Problems. Vielmehr macht man es nur noch schlimmer, weil dann noch mehr Menschen ihre Arbeit verlieren."

Deutschland sei einer der klaren Gewinner der Globalisierung, und die Regierung sei eine der wenigen in der Welt, die daran arbeite, die Arbeitskräfte mit Aus- und Weiterbildung fit zu machen für neue Jobs. "Bundeskanzlerin Angela Merkel ist brillant, und ich würde mir nicht anmassen, ihr Ratschläge zu geben", sagte Azevêdo./oe/DP/das

(AWP)