Für gute ESG-Ratings fehlt es noch an standardisierten Daten (Foto zvg)
Für gute ESG-Ratings fehlt es noch an standardisierten Daten (Foto zvg)

Wenn es um die Wahl einer Universität oder den Autokauf geht, können Ranglisten helfen. Doch was passiert, wenn Rankings voneinander abweichen oder sich sogar widersprechen? Das ist nicht nur eine Frage für Studienanwärter oder Autokäufer. In der Finanzwelt ist die Divergenz von ESG-Ratings ein Thema, das heftig diskutiert wird. "Tiefgreifend fehlerhaft", so fasste es kürzlich eine Titelstory in The Economist zusammen. Als Lösung wurde ein Ansatz empfohlen, der sich nur auf explizit quantifizierbare Messgrössen wie Emissionen konzentriert.

Sinnvolle Wirkungen erfordern mehr als eine Kennzahl

Ein solcher Ansatz birgt jedoch Gefahren, sagt Dhananjay Phadnis, Portfolio Manager Fidelity International. Schlimmstenfalls würde er Verbesserungen in anderen Bereichen aufgeben und bestenfalls mache er Perfektion zum Feind des Fortschritts. Was sind also die Herausforderungen unterschiedlicher ESG-Ratings? "Zunächst ist der Vergleich mit Kreditratings unpassend", sagt Phadnis. Diese versuchten, einen Parameter - die Ausfallwahrscheinlichkeit - zu bewerten, während ESG-Ratings eine Vielzahl berücksichtigen, um ein Rating abzuleiten. Der geeignetere Vergleich sei zum Beispiel jener mit US-amerikanischen Hochschulrankings, wo ebenfalls mehrere Faktoren (Abschlussquoten, Fakultätsressourcen usw.) berücksichtigt werden.

Warum unterscheiden sich ESG-Ratings voneinander?

Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology ergab eine Korrelationen zwischen den ESG-Ratings zwischen 0,38 und 0,71, ein grosser Spielraum. Angesichts des jetzigen Stands der ESG-Investitionen gibt es laut Phadnis dafür jedoch gute Gründe:

  • Die Anbieter vertreten unterschiedliche Ansichten darüber, welche Faktoren und mit welcher Gewichtung sie Auswirkungen auf die E-, S- oder G-Bereiche haben
  • Die grosse Anzahl der verwendeten Datenpunkte, die auch proprietäre Datensätze und Schätzungen umfasst
  • ob die Ratings auf relativer Basis innerhalb eines Sektors oder auf absoluter Basis für das gesamte Universum angewendet werden.

Die gute Seite der Ratingdivergenz: Das Argument für Vielfalt

Behörden und Organisationen haben sich mit der Divergenz von ESG-Ratings befasst. Die publizierten Papiere stimmen weitgehend darin überein, dass eine Vielfalt an Ansichten, unabhängigen Methoden, subjektiven Einschätzungen, Innovationen und Wettbewerb für Märkte und Anleger von Vorteil sein können. Sie warnen jedoch vor mechanistischen Ansätzen mit übermässiger Abhängigkeit von ESG-Ratings. Wenn es ein gemeinsames Ziel gibt, dann ist es die Standardisierung von Daten.

Vereinfachung zur Isolierung von ESG-Faktoren ist (vorerst) nicht so einfach

"Die Vereinfachung hat sicher Vorteile," sagt Phadni,s "aber selbst dieser datengesteuerte Ansatz ist nicht so einfach, was man am Beispiel der Emissionen sieht: Obwohl mehr als 13’000 Firmen an den Erhebungen des CDP, einer Organisation, die den ökologischen Fussabdruck misst, teilnehmen, sind die Daten zu Scope-1- (direkte) und Scope-2-Emissionen (indirekte) immer noch recht spärlich." Nach Angaben von MSCI lag die Offenlegungsquote bei den MSCI ACWI-Mitgliedern unter 40 Prozent, während die Offenlegungsquote für Scope 3 (Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette) unter 25 Prozent lag. Der Versuch, vollständigere Daten zu erheben, könne in vielen Fällen sogar zu mehr Ratingunterschieden führen. Die Anbieter von Emissionsdaten versuchen, die Datenlücke mit verschiedenen Techniken zu schliessen: Schätzungen, eigene Tools und von Unternehmen angekündigte Ziele.

Fokus birgt erhebliche Risiken

Ein enger Fokus birgt für Phadnis die Gefahr, dass ein wichtiger Punkt übersehen wird: Die Unternehmensführung und das Verhalten in der Gesellschaft sind auch entscheidend für die Erreichung angestrebter Ziele in anderen Bereichen, so die Emissionen. "Jedes Unternehmen, das Stakeholder ignoriert, gerät irgendwann ins Straucheln. Purdue Pharma und die Opioid-Epidemie sowie Nikola und irreführende Information sind nur zwei abschreckende Beispiele", sagt Phadnis.

Kein Ersatz für harte Arbeit

Mit der Zeit würden die Bemühungen, das Spektrum der ESG-Daten zu standardisieren und die Offenlegung zu verbessern, die Bewertungen vergleichbar machen und die Korrelationen erhöhen. Bis dahin müssten die Marktteilnehmer ihre Hausaufgaben machen und den Prozess verstehen, der einem bestimmten ESG-Rating zugrunde liegt. Noch besser entwickeln sie gemäss Phadnis eine robuste eigene Methode. Gleichzeitig sollten die Anleger erkennen, dass unterschiedliche ESG-Ratings auch eine Vielfalt von Ansichten widerspiegeln - und das ist nie etwas Schlechtes.

Dieser Artikel wurde cash von Investrends.ch zur Verfügung gestellt. Verpassen Sie keine News zu aktuellen Themen aus der Fonds- und Asset-Management-Branche. Investrends.ch liefert Ihnen im Newsletter zweimal wöchentlich die Zusammenfassung der Nachrichten und informiert Sie über Sesselwechsel und wichtige Veranstaltungen. Hier abonnieren