cash: Herr Vinzens, wie oft checken Sie den Kurs des Partizipationsscheines der Graubündner Kantonalbank?

Alois Vinzens: Ich schaue den Kurs regelmässig an zusammen mit anderen Titeln, die mich interessieren. Grundsätzlich muss man den Kurs eines Wertpapiers ohnehin auf längere Sicht betrachten. Die Volatilität, welche wir im letzten und auch in diesem Jahr in unserem Titel hatten, ist für mich als CEO nicht dermassen relevant. In der Wertentwicklung der letzten zehn Jahre stehen wir im Vergleich zu anderen Kantonalbanken jedenfalls sehr gut da.

Trotzdem war der Absturz des PS im zweiten Halbjahr 2016 mit fast 30 Prozent doch etwas ungewöhnlich.

Der PS war in den Jahren 2014 und 2015 aber auch um dieselbe Dimension angestiegen. Man muss wissen, dass 5 Prozent des vorhandenen PS-Volumens der Graubündner Kantonalbank pro Jahr gehandelt werden. Das geringe Handelsvolumen ist mitverantwortlich für die von Ihnen erwähnte Korrektur. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 22 ist die Bewertung des PS immer noch stattlich.

cash.ch machte kürzlich eine Auswertung, wie die 13 Titel der börsenkotierten Kantonalbanken seit dem 15. Januar 2015, also seit der Aufhebung der SNB-Kursuntergrenze, abgeschnitten haben. Der PS der GKB lag da performancemässig auf dem zweitletzten Platz. Denken Investoren an einen Rückgang der Zinsmargen?

Nein, überhaupt nicht. Im ganzen Jahr 2015 hatten wir beim PS ja einen enormen Anstieg, der Rückgang erfolgte erst 2016. Die Schwankungen haben mit dem kleinen Handelsvolumen zu tun.

Wie schätzen Sie den Immobilienmarkt im Kanton Graubünden ein?

Insgesamt ist der Immobilienmarkt im Kanton Graubünden sehr stabil, wir sehen keine beunruhigenden Zeichen einer möglichen Krisensituation. Man muss den Markt etwas segmentiert betrachten. Im Churer Rheintal, dem grössten Wirtschaftsraum des Kantons, haben wir eine stabile Entwicklung mit leichten Preissteigerungen. Die Tourismuszentren mit den so genannten 'Hot Spots' wie das Oberengadin, Davos oder Lenzerheide, hatten während der Boomjahre starke Preissteigerungen vor allem im Zweitwohnungsbereich. Wegen des Zweitwohnungsstopps gibt es in diesem Bereich eher einen Angebotsüberhang. Die Preise bewegen sich seitwärts oder sinken leicht. Das übrige Graubünden, das dritte Segment, ist etwas gekennzeichnet von der Abwanderung und Überalterung. Hier sind die Preise eher unter Druck. Das ist für die Bank aber kein Problem, weil in diesen Regionen keine Überschuldung stattfand.

Das Hypothekarvolumen stieg bei Ihnen im letzten Jahr um 5,8 Prozent, davon stammten zwei Drittel von ausserhalb des Kantons. Woher genau?

Das kommt nicht ausschliesslich, aber vorwiegend aus dem Raum Zürich. Wir sind 'Risk Carrier' für Risikovermittler aus dieser Region. Andererseits eröffneten sich durch das Netzwerk über unsere Bankbeteiligungen in Zürich neue Kundensegmente. Wir wollen auch ausserkantonal wachsen, damit wir unser Portfolio besser diversifizieren können.

Die Margen im Hypothekargeschäft sind unter Druck. Wie ist Ihre Strategie in diesem Geschäft?

Wir wollen unser Wachstum derart gestalten, dass wir unsere absolute Marktführerschaft zumindest im Kanton Graubünden halten können. Das erfordert ein Wachstum von ungefähr 2 bis 2,5 Prozent. Wir wollen nicht unbedingt weitere Marktanteile im Kanton gewinnen. Das Zusatzwachstum generieren wir beim ausserkantonalen Wachstum. Viele andere Banken sind ja auch in Graubünden tätig. Zur Zeit des Zweitwohnungsbooms im Graubünden wurden viele Objekte durch Kantonalbanken ausserhalb des Kantons finanziert. Das gehört heute zum Wettbewerb, es ist akzeptiert.

Der Markt der Onlinehypotheken ist eine Konkurrenz. Wie gehen Sie damit um?

Wir gehen davon aus, dass Onlinehypotheken den Hypothekarmarkt verändern werden. In Zukunft eher noch stärker als heute, denn der Marktanteil von Onlinehypotheken ist noch relativ gering. Wir selber haben dieses Geschäft noch nicht stark ausgebaut, weil wir eine Kannibalisierung unseres traditionellen Hypothekargeschäftes vermeiden wollten. Aber wir investieren auch in diese Technologie, und unsere Kunden haben entsprechende Möglichkeiten. Zwar noch nicht im Sinn eines durchgängigen digitalen Beratungsprozesses, aber dies wird bald der Fall sein.

Wie lange sehen Sie die SNB-Negativzinsen in der Schweiz auf dem derzeitigen Stand?

In unseren Planungen rechnen wir spätestens für das Jahr 2019 mit einer allfälligen Verringerung der Negativzinsen, wobei wir nicht auf der Zinskurve spekulieren. Die Situation ist sicher belastend für Retailbanken, auch für die Graubündner Kantonalbank. Das setzt das Zinsgeschäft unter Druck.

Andere Retailbanken wie die Migros Bank oder Postfinance haben damit begonnen, die Negativzinsen auf die Kunden abzuwälzen. Ist dies bei Ihnen auch ein Thema?

Ja. Institutionelle Kunden belegen wir im Grundsatz bei Vermögen über 10 Millionen Franken mit Negativzinsen. Bei den Privatkunden haben wir derzeit noch keinen Handlungsdruck, weil die Geldbestände in diesem Segment nicht so hoch sind. Diskussionen über Negativzinsen haben wir in der Geschäftsleitung aber im Quartalsrhythmus, wenn nicht häufiger.

Was passiert, falls immer mehr Banken Negativzinsen auf Kundengelder einführen?

Das würde wohl den Druck bei vielen Instituten erhöhen. Wir wollen natürlich verhindern, dass Geldflüsse aufgrund von aufgebauten Barrieren bei anderen Instituten einseitig in einen Kanal fliessen, das uns grossen Schaden zufügen könnte. Keine Bank ist heute erpicht darauf, opportunistische Kundengelder in der Bilanz zu halten.

Banken versuchen derzeit vermehrt, Kunden mit hohen Barbeständen zu Investitionen zu ermuntern. Welchen Erfolg haben Sie damit?

Wir unternehmen solche Anstrengungen auch, da wir sehen, dass Kunden heute suboptimal investiert sind. Wir tun dies allerdings immer mit dem Diktat des Risikoprofils eines Kunden. Der Erfolg unserer Anstrengungen ist aber eher bescheiden. Bedingt durch die geopolitische Situation ist das Vertrauen des Kunden noch nicht ganz zurückgekehrt. Und realverzinst sind die Kundengelder bei der Bank ja noch immer geschützt, da es keine Inflation gibt.

Sie sind auf dem Platz Zürich auch auffällig mit Beteiligungen an Vermögensverwaltern aktiv…

Wir kauften ja schon 1998 eine indirekte Mehrheitsbeteiligung an der Privatbank Bellerive in Zürich. Und einige Jahre später kauften wir eine Mehrheitsbeteiligung an der Private Client Bank. In einer Neubeurteilung der Strategie erwarben wir dann eine direkte Mehrheitsbeteiligung von 55 Prozent bei Bellerive und verkauften den Anteil an der Private Client Bank. Im letzten Jahr kauften wir schliesslich einen Anteil von 25 Prozent an der Vermögensverwaltungsgesellschaft Albin Kistler mit der Option auf eine Mehrheit im nächsten Jahr. CEO Norbert Albin ist selber Bündner. Das ist typisch. Die Menschen im Umfeld aller Banken, an denen wir Beteiligungen halten oder hielten, haben eine sehr hohe Affinität zum Kanton Graubünden oder zur Graubündner Kantonalbank.

Werden Sie die Albin-Kistler-Option wahrnehmen?

Anfang 2018 werden wir das zusammen prüfen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir diesen Weg gehen werden.

Der Markt der Schweizer Vermögensverwalter ist unter Druck. Werden Sie weitere Anteile an anderen Banken kaufen?

Es werden uns relativ viele Objekte angeboten. Für uns muss es eine hohe Übereinstimmung mit der GKB-Strategie geben. Das heisst, eine Bank müsste primär Schweizer Kunden betreuen. Wir wollen auch keine Privatbanken, die ausländische Filialen unterhalten, sondern Banken, die über eine grosse Expertise und eine gute Marktpositionierung verfügen. Hier ist der Markt relativ beschränkt. Im Moment haben wir kein Ziel, das wir prüfen würden, wir haben nichts auf dem Tisch. Aber wir schliessen es nicht aus.

Und im Fokus bliebe der Raum Zürich?

Der bevorzugte Markt wäre sicher der Finanzplatz Zürich, ja.

Sie waren vor vier Wochen zu Besuch im Silicon Valley in Kalifornien. Ihre Erfahrungen?

Ich war extrem beeindruckt. Der Grund der Reise war natürlich Erfahrungen zu sammeln bezüglich Digitalisierung. Es ist extrem viel Geld vorhanden für Innovationsideen. Der Besuch zeigte auch die Dimensionen auf zur Welt, in welcher wir zuhause sind. Die GKB hat nicht den Anspruch, Innovationsführer zu sein. Wir nehmen bei der Digitalisierung der Bank eher die Rolle eines 'Early Follower' ein.

'Early Mover' bei den Kantonalbanken ist sicher die Glarner Kantonalbank. Sie veranschlagte 2016 Kosten von etwa 30 Millionen Franken über die folgenden fünf Jahre für die Digitalisierung. Mit welchen Kosten rechnet die GKB?

Wir entwerfen bloss vierjährige Finanzpläne. Für die nächsten vier Jahre haben wir Kosten von 20 Millionen Franken für digitale Themen veranschlagt.

Mit der Digitalisierung verschwinden tendenziell auch Niederlassungen und Filialen. Spüren Sie keinen Widerstand bei den Kunden?

Die Schliessung von Niederlassungen erschreckt heute niemanden mehr, auch im Kanton Graubünden nicht…

Wenn man die Reaktionen auf die Schliessung von Filialen zum Beispiel der Post vor Augen hält, könnte man anderes denken.

Diese Reaktionen werden aus meiner Sicht sehr stark von Seiten der Politiker angetrieben. In all diesen Diskussionen wünschte ich mir etwas mehr Sachlichkeit und Objektivität. Schauen Sie: Als ich vor 14 Jahren CEO der GKB wurde, hatten wir über 100 Niederlassungen im Kanton. Heute sind es noch 58. Wir sind deswegen nicht untergegangen, und unsere Bevölkerung hat dies akzeptiert. Wir erklären den Leuten auch unsere Schritte.

Welche Erklärungen liefern Sie?

Tatsache ist: Wir verzeichnen etwa zehn Prozent weniger Transaktionen pro Jahr an den Schaltern. Im letzten Jahr hatten wir an unseren Bancomaten auch zum ersten Mal überhaupt weniger Transaktionen. Da finden Entwicklungen statt, die man nicht negieren kann.

Welche Idealgrösse stellen Sie sich denn vor für das Filialnetz?

Schwierig zu sagen. Unsere elf Regionalsitze sind unverzichtbar. Und wir investieren weiter stark ins Filialnetz, einfach selektiver und auf Achsen, die zentrumsnah sind. In Sedrun oder Trun bauten wir komplett neue Banken, in Ilanz nahmen wir kürzlich eine Bank mit einem neuen Filialkonzept in Betrieb. In Davos und Flims werden wir neue Regionalsitze bauen. Aber die Anzahl Niederlassungen wird sicher weiter zurückgehen. Vor allem dort, wo Kunden das Bedürfnis nicht mehr verspüren, eine Niederlassung zu frequentieren. Dies trifft tendenziell bei Ein-Mann-Niederlassungen zu, die bloss noch zur Hälfte des Tages geöffnet sind. Ein weiteres Kriterium für eine Schliessung kann ein Mangel an geeigneten Mitarbeitern sein. Vor allem in abgelegenen Orten haben wir bisweilen Schwierigkeiten, qualifizierte Leute zu finden.

Viele Banken haben ein gutes erstes Quartal hinter sich. Wie liefen bei der GKB die ersten drei Monate des Geschäftsjahres 2017?

Wir hatten ein gutes und erfreuliches Quartal im Rahmen unserer kommunizierten Erwartungen.

Und halten Sie an Ihren Ganzjahresprognosen fest?

Im Februar prognostizierten wir für das ganze 2017 einen Geschäftserfolg zwischen 156 und 160 Millionen Franken, Kundengeldzufluss von netto 350 Millionen Franken und einen Gewinn pro PS zwischen 64 und 67 Franken. Wir sind sicher im Rahmen dieser Erwartungen unterwegs. 

Im cash-Video-Interview äussert sich Alois Vinzens zum Stand der Wirtschaft im Kanton Graubünden und dazu, weshalb er jeden Morgen Apfelessig trinkt.

Alois Vinzens, geboren 1959, ist seit Februar 2003 CEO und seit 1997 Mitglied der Geschäftsleitung der Graubündner Kantonalbank. Er studierte an der  Universität St. Gallen Wirtschaftswissenschaften und bildete sich an der Harvard Business School fort. 2001/2002 arbeitete Vinzens für die Swiss Re in New York.