Bei einem Nein ändert die Rechtslage zwar nicht. Doch damit bleibe nicht einfach alles beim Alten, sagte Berset am Dienstag vor den Bundeshausmedien. Die Erträge der Pensionskassen wären weiterhin tief, die "illegale Umverteilung" von der aktiven Generation zu den Rentnern gehe weiter. Das Defizit der AHV wachse, und auch die Arbeitswelt entwickle sich weiter.

UNGELÖSTE PROBLEME

Bis eine neue Vorlage abstimmungsreif wäre, würden laut Berset wiederum Jahre vergehen. Mit dieser Reform müssten zudem noch viel grössere Herausforderungen bewältigt werden, weil sich die Situation der Sozialversicherungen inzwischen markant verschlechtert haben dürfte. Der vorliegende Kompromiss hingegen würde es gemäss Berset erlauben, künftig auch über grundsätzliche Fragen wie die Erhöhung des Rentenalters zu diskutieren.

Angesichts von tiefen Renditen, demografischem Wandel und veränderten Arbeitsmodellen ist der Handlungsbedarf für den Sozialminister ausgewiesen. Die Vorlage respektiere auch die grossen Linien, die der Bundesrat für die Reform gezogen habe: Sowohl 1. als auch 2. Säule würden stabilisiert. Das Rentenniveau bleibe erhalten, die Umverteilung in der 2. Säule werde eingedämmt, und die Senkung des Umwandlungssatzes werde weitgehend kompensiert.

Der Ausgleich geschieht unter anderem durch den Zuschlag von 70 CHF auf neuen AHV-Renten und höhere Ehepaar-Renten. Berset rief in Erinnerung, dass der Bundesrat gegen diese Verflechtung von AHV und beruflicher Vorsorge gewesen sei. Doch akzeptiere er das Element im Sinne eines Kompromisses. "Es ist dieser Schritt, der uns vielleicht erlaubt, gewisse Kreise zu gewinnen, die vorher gegen die Vorlage waren", sagte er.

TEST FÜR DIE GESELLSCHAFT

Damit habe der Bundesrat seine Verantwortung wahrgenommen, sagte Berset. Nun ist die Stimmbevölkerung an der Reihe. "Es ist ein Test für die Gesellschaft."

Die Reform wird von SVP, FDP und den grossen Wirtschaftsverbänden bekämpft. Diese sehen in der Erhöhung der AHV-Renten einen Sozialausbau, den die jüngeren Generationen finanzieren müssen.

Jürg Brechbühl, Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen, hat eine andere Optik: Mit der geplanten Senkung des Umwandlungssatzes werde die Umverteilung zu Lasten der Jungen korrigiert. Zudem werde das Defizit der AHV ohne Reform innerhalb weniger Jahre auf 40 Milliarden Franken anschwellen.

Es entstünden Probleme, die wesentlich grösser seien als die 70 CHF, erklärte Brechbühl. "Die Reform ist daher auch unter dem Blickwinkel der Generationengerechtigkeit ein Schritt in die Richtige Richtung."

Unterstützt wird die Reform von CVP, SP, BDP, Grünen, Grünliberalen und den Gewerkschaften. In der Westschweiz stösst sie auch bei Wirtschaftsverbänden auf mehr Anklang.

Die Vorsorgewerke waren letztmals vor 20 Jahren reformiert worden. 2004 war die 11. AHV-Revision an der Urne gescheitert, 2010 lehnte das Volk die Senkung des Umwandlungssatzes ab.

UMFASSENDE REFORM

Die nun vorliegende Reform der Altersvorsorge nimmt dieses Element wieder auf, da die für den heutigen Satz nötigen Renditen kaum mehr erwirtschaftet werden können. Die Ausfälle werden durch höhere Beiträge sowie den AHV-Zuschlag ausgeglichen.

Das Frauenrentenalter wird auf 65 Jahre angehoben, was die AHV um rund 1,3 Mrd CHF entlastet. Zusätzliche Mittel fliessen der Sozialversicherung aus den Erträgen des Demografie-Prozents sowie aus einer Mehrwertsteuer-Erhöhung um insgesamt 0,6% zu.

Die dafür notwendige Verfassungsänderung muss ohnehin von Volk und Ständen abgesegnet werden. Die Gesetzesänderung, gegen die das Referendum ergriffen wurde, ist jedoch damit verknüpft: Wird eine der beiden Vorlagen abgelehnt, scheitert die ganze Reform.

(AWP)