Hongkong hat seit diesem Jahr einen Busfriedhof. Hunderte Fahrzeuge verstauben auf einem Parkplatz am Containerhafen im Norden der Metropole, wo sie seit zehn Monaten herumstehen. Das wäre noch vor kurzem undenkbar gewesen, denn die ehemalige britische Kronkolonie war schliesslich im vergangenen Jahr das weltweit führende Reiseziel: Rund 56 Millionen Menschen besuchten die Stadt. Dann kam Corona und änderte alles.

Für die Beschäftigten der Reisebranche ist das Fernbleiben ihrer Kunden bitter. Viele denken mittlerweile ans Aufgeben. "Wenn du kein Licht siehst, wirst du einfach aufhören, um die Verluste zu begrenzen", sagt Freddy Yip, Präsident der Hongkonger Vereinigung der Reisebüroinhaber.

Der 70-jährige ist seit fast einem halben Jahrhundert in der Branche tätig. Bald schon könnte auch er zum Aufgeben gezwungen sein. Die Regierung hat zwar im Juni ein weitreichendes Hilfsprogramm aufgelegt und im September verlängert, doch Ende diesen Monats soll es auslaufen. Zu hohe Kosten, lautet die Begründung der Regierung, die bislang Lohnausfälle für rund zwei Millionen Beschäftigte aller Branchen zumindest zum Teil aufgefangen hat.

18 Milliarden Dollar durch Tourismus

Das von China regierte, halbautonome globale Finanzzentrum erwirtschaftet etwa fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts oder etwa 18 Milliarden Dollar direkt durch den Tourismus. Die Einnahmen lokaler Geschäfte und Restaurants sind darin noch nicht einmal mitgerechnet. Hongkongs Tourismusbranche beschäftigt nach Angaben der Regierung etwa 260.000 Menschen direkt. Sie hatten bis ins vergangene Jahr noch alle Hände voll zu tun. Besucher, die meisten von ihnen vom chinesischen Festland, fühlen sich von der Mischung der Kulturen, dem Hafenblick und den erstklassigen Einkaufsmöglichkeiten angezogen.

Touristen aus der Volksrepublik geben in der Regel pro Tag mehr für Babynahrung, Kosmetika und Luxusgüter aus als der durchschnittliche Hongkonger. Sie sind der Meinung, dass Hongkong bessere Qualitätsstandards hat. Doch Anfang Februar riegelte sich Hongkong wegen des Corona-Ausbruchs - der in der Millionenstadt Wuhan begann - vom Festland ab. Nur eine kleine Zahl von Geschäftsreisenden wurde noch hereingelassen. Offiziellen Angaben nach sind die Besucherzahlen seit Februar jeden Monat um 96 bis 99 Prozent im Vergleich zum jeweiligen Vorjahreszeitraum eingebrochen.

Tropfen auf dem heissen Stein

Die Stadt bemüht sich, den Tourismus zumindest ein bisschen anzukurbeln. So soll es bald einer begrenzten Anzahl von Menschen erlaubt werden, zwischen Singapur und Hongkong hin und her zu reisen - nach einem negativen Corona-Test. Die Vereinbarung ermöglicht es den Reisenden, auf die Quarantäne zu verzichten. Allerdings ist der Testlauf auf einen Flug pro Tag mit maximal 200 Passagieren pro Richtung beschränkt - ein Tropfen auf dem heissen Stein für eine Stadt, die im Januar 2019 mit 6,8 Millionen Besuchern einen Monatsrekord aufgestellt hatte.

Reiseleiterin Mimi Cheung ist dieser Schritt daher nicht genug. "Die Regierung sollte die Grenze zum Festland öffnen - unter sicheren Bedingungen natürlich. Das würde etwas Hoffnung bringen", sagt Cheung, die eine befristete Arbeit als Nachtwächterin gefunden hat, um ihre Eltern und zwei Kinder zu versorgen.

Auch für Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat die Wiederöffnung der Grenze zum Festland Priorität. Aber noch haben die chinesischen Behörden keine Anzeichen erkennen lassen, dass sie dazu bereit sind. Sie wollen das erst in Erwägung ziehen, wenn die Zahl der Virusfälle in Hongkong auf Null sinkt. Die Stadtregierung versucht derweil, den lokalen Tourismus anzukurbeln. So werden kostenlose Touren für kleine Gruppen angeboten.

Kaum noch Puffer

Dutzende von Reisebüros haben ihre Mitarbeiter inzwischen angewiesen, ab Dezember unbezahlten Urlaub zu nehmen. Sie können es sich nicht mehr leisten, Gehälter oder Miete zu zahlen. Viele Reiseveranstalter haben keinen Puffer mehr, um die Krise zu überstehen. Denn schon in der zweiten Hälfte 2019 flauten die Geschäfte ab. Regierungsfeindliche Strassenproteste hielten viele Touristen von einem Hongkong-Besuch ab.

Auch das Tagungs- und Kongressgeschäft der Stadt steckt in der Krise. Es wird in diesem Jahr wahrscheinlich einen Umsatzrückgang von 90 Prozent auf 50 Milliarden Hongkong-Dollar (etwa 5,5 Milliarden Euro) erleiden, sagt Stuart Bailey, Vorsitzender des Branchenverbandes Hong Kong Exhibition & Convention Industry Association.

Der Sektor, der rund 80.000 Mitarbeiter beschäftigt, habe die meisten der diesjährigen Veranstaltungen absagen müssen. "Die Leute befürchten, dass es mindestens 18 Monate bis zwei Jahre dauern wird, um auf das Niveau von 2019 zurückzukehren." Die Fahrzeuge auf dem Bus-Friedhof im Norden Hongkongs werden wohl noch viel Staub ansetzen, ehe sie vielleicht wieder zum Einsatz kommen und zum Leben erweckt werden. 

(Reuters)