Mit einem Sektglas in der Hand steht Dirk Schmitz auf dem riesigen Balkon in der 42. Etage des Frankfurter Opernturms. Es ist Ende Juni, die Hitze drückt, doch der Blick über die Stadt, der sich den Gästen bietet, ist beeindruckend – sie schauen hinab auf Banken und Börse, auf den Rest der Welt.

Und das hat durchaus Symbolkraft. Denn der Deutschland-Chef von Blackrock will etwas feiern: Soeben hat die Firmentochter iShares vermeldet, dass sie mehr als zwei Billionen Dollar an Kundengeld eingesammelt hat.

Es ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Weltherrschaft. Denn Blackrock ist in den vergangenen Jahren zu einem Giganten an den Finanzmärkten herangewachsen. Zusammen mit den beiden anderen Riesen des Investmentgeschäfts, State Street und Vanguard, beherrschen die Amerikaner immer grössere Teile des Börsenhandels.

An allen börsenkotierten Unternehmen beteiligt

An praktisch jedem Unternehmen dieser Welt sind sie bereits beteiligt, und ihre Anteile wachsen stetig. Geht das Wachstum so weiter, dann werden die drei Finanzkolosse schon bald die globale Unternehmenswelt in ihren Händen halten, Weg und Richtung praktisch jedes Konzerns der Welt bestimmen. Der Einzige, der das verhindern könnte, wäre die US-Regierung.

Gerade mal fünf Jahre brauchte iShares, um das verwaltete Kapital von einer Billion auf zwei Billionen Dollar zu verdoppeln. Als Blackrock den Fondsanbieter vor zehn Jahren übernahm, lagen sogar erst 300 Milliarden Dollar in den Geldtöpfen.

Wesentlicher Grund für den Erfolg: die rasant steigende Nachfrage nach Indexfonds (resp. Exchange Traded Funds, ETF). Diese Fonds verzichten auf einen Manager, der mühsam versucht, die besten und aussichtsreichsten Unternehmen herauszusuchen, und bilden stattdessen einfach nur einen Index nach. Dadurch sind sie kostengünstig, und die Anleger bekommen die Rendite des Index – nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger.

Das überzeugt immer mehr Sparer, und sie überweisen den Anbietern eifrig ihr Geld. 80 Prozent des Anlegerkapitals floss in der letzten Dekade an Blackrock, State Street und Vanguard, wie die Finanzprofessoren Lucian A. Bebchuk und Scott Hirst errechnet haben. In einer Studie, die soeben vom National Bureau of Economic Research in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts veröffentlicht wurde, stellen sie zudem fest, dass der Anteil in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sogar noch gewachsen ist.

(Grafik: welt.de)

Und dabei geht es längst nicht mehr nur um Indexfonds. Die Giganten haben alles im Angebot, was Sparer begehren, auch gemanagte Fonds, Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds. Alles in allem haben die grossen drei so inzwischen die Hand auf rund 14,6 Billionen Dollar an Kundengeld – damit könnten sie rund die Hälfte des amerikanischen Aktienmarkts kaufen oder gleich den gesamten europäischen.

So weit sind sie zwar noch nicht, aber auf dem besten Wege dahin. Denn Bebchuk und Hirst zufolge hielt das Trio im Jahr 2017 an jeder der 500 grössten US-Firmen im S&P-500-Index einen durchschnittlichen Anteil von 20,5 Prozent. Dieser Wert hat sich seit 1998, als er bei 6,2 Prozent lag, vervierfacht. Doch nicht nur in den USA sind die drei aktiv. Die Blackrock-Tochter iShares beispielsweise hat allein in die 30 Dax-Firmen rund 70 Milliarden investiert.

Das entspricht rund sechs Prozent der gesamten Dax-Kapitalisierung. Der Aktionärsvereinigung DSW zufolge ist der US-Finanzkonzern bei 20 der 30 Dax-Unternehmen grösster Einzelaktionär. In praktisch allen anderen Ländern der Welt sieht es ähnlich aus, und überall sind gleichzeitig Vanguard und State Street mit dabei.

Vermögensverwalter nutzen Stimmrechte

Sechs Prozent an einem Unternehmen, das klingt zunächst nicht nach viel. Doch der entscheidende Punkt ist: Viele Einzelaktionäre gehen nicht auf Hauptversammlungen, sie stimmen dort nicht ab. Die grossen drei dagegen schon. "Deren Anteile repräsentierten daher 2018 im Schnitt rund 25 Prozent der Stimmen, die bei Vorstandswahlen der S&P-500-Firmen anwesend sind", stellen Bebchuk und Hirst fest. Sie sind also schon heute ein entscheidender Faktor, wenn es um die Besetzung der Spitzenposten geht.

Tatsächlich geht der Einfluss aber viel weiter. Sean Hagerty, Europa-Chef von Vanguard, betont, dass seine Leute auch ausserhalb der Hauptversammlungen aktiv sind. "Wir stehen in stetem Kontakt mit vielen Firmen, versuchen unseren Einfluss geltend zu machen und im Sinne unserer Prinzipien einzuwirken", sagt er.

"Wenn wir beispielsweise der Meinung sind, dass die Vergütung des Vorstands unangemessen ist, dann bringen wir unser Missfallen zum Ausdruck, nicht erst auf der Hauptversammlung, sondern weit früher." Meist reagierten die Unternehmen dann auch auf die Einwände.

Der Vanguard-Manager sieht das aber nicht als Problem, sondern als Dienst an seinen Kunden, den Anlegern. Er sei schliesslich deren Treuhänder. Zudem sei die Macht seiner Indexfonds nur eine theoretische, denn sie hätten kein Drohpotenzial. "Wir können nicht entscheiden, eine Aktie zu verkaufen, wir besitzen alle Firmen, die in einem Index repräsentiert sind, und das theoretisch für immer, solange die Firma im Index vertreten ist", sagt er.

Macht der ETF-Anbieter könnte die von Ländern übersteigen

Das sieht John C. Coates, Professor an der Harvard Law School, anders. Denn tatsächlich seien die Stimmen der Indexfonds immer häufiger die entscheidenden, wenn es um wichtige Weichenstellungen gehe. Dadurch drohten diese Fonds die "grösste je erlebte ökonomische Konzentration" in der Geschichte zu erreichen. Er spricht von einer grossen Herausforderung für das Unternehmensrecht, man könne sogar von einer verfassungsrechtlichen Herausforderung sprechen.

Dies gilt umso mehr, wenn das Wachstum der Finanzgiganten anhält. Bebchuk und Hirst haben errechnet, was passiert, wenn es in dem gleichen Masse weitergeht wie in den vergangenen Jahren. Demnach würde der Stimmenanteil der grossen drei bei den Hauptversammlungen der wichtigsten US-Firmen in der nächsten Dekade 34 Prozent erreichen und etwa 41 Prozent in zwei Dekaden.

"In diesem Szenario würden drei Investmentmanager die Abstimmungen auf Hauptversammlungen der S&P-500-Unternehmen weitgehend dominieren, sofern es nicht einen Mehrheitsaktionär gibt." Und für Firmen ausserhalb Amerikas würde Ähnliches gelten.

Das macht zunehmend auch Anlageprofis hierzulande nachdenklich. "Wenn ein einzelnes Unternehmen auf einen Anteil von mehr als zehn Prozent aller Firmen der Welt käme und diesen auch wahrnimmt, dann ist die Macht eines Putin oder eines Xi Jinping nichts dagegen", sagt Bert Flossbach, Chef der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch.

«Gegenkräfte werden mobilisiert»

Er sieht allerdings auch einen Ausweg aus dem Dilemma. "Ich glaube, dass dies mittelfristig Gegenkräfte mobilisieren wird", sagt er. "In den USA gibt es eine gewisse Tradition, Monopole zu zerschlagen, da sind die Amerikaner ziemlich konsequent."

Klassische Beispiele dafür sind die Eisenbahngesellschaften oder der Telefonanbieter AT&T, die zerschlagen wurden. "Irgendwann könnte dies auch die grossen ETF-Anbieter treffen, wenn sich die Entwicklung so fortsetzt", glaubt Flossbach. "Der Zug fährt."

Dieser Beitrag erschein zuerst in "Die Welt" unter dem Titel "Die neue Macht der drei Finanzkolosse".