Ein Risiko ist weg: Dies eine Erklärung, weshalb die europäischen Aktienmärkten höher stehen (mehr dazu hier) – und weshalb der deutsche Leitindex Dax am Montag um gut einen Prozentpunkt höher startete: Eine rot-rot-grüne Regierung in Berlin ist nicht mehr möglich, und das trägt aus Börsianersicht zur Beruhigung bei.

"Aus Marktsicht dürfte es eine gute Nachricht sein, dass eine Linkskoalition rechnerisch unmöglich ist und folglich als Drohkulisse der Verhandlungen zwischen SPD, CDU, Grünen und FDP abgeräumt wurde", sagt Jens-Oliver Niklasch, Ökonom bei der der LBBW. "Die verbleibenden möglichen Regierungsparteien unterscheiden sich in wirtschafts- und finanzpolitischen Themen nicht so gravierend, als dass Kompromisse unmöglich werden."

Ähnlich sieht es Thomas Altmann, Portfoliomanager bei QC Partners: "Mit beiden jetzt möglichen und wahrscheinlichen Konstellationen können die Börsen gut leben. Auch eine Fortsetzung der Groko wäre für die Börsen keine Katastrophe."

«Linksschwenk vom Tisch»

Und auch der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, meint: "Ich erwarte am Montag keine wesentlichen Marktreaktionen. Viele Anleger und Unternehmer dürften erleichtert sein, dass ein rot-grün-rotes Bündnis im neuen Bundestag voraussichtlich keine Mehrheit hat. Das stärkt die Verhandlungsposition der FDP, ohne die niemand eine stabile Regierung bilden kann, wenn man von einer grossen Koalition absieht. Ein wirtschaftspolitischer Linksschwenk ist damit vom Tisch."

Andererseits sei auch ein Reformprogramm sehr unwahrscheinlich, so Krämer – "weil die Grünen als unabdingbarer Partner jeder Koalition wirtschaftspolitisch anders ticken als die FDP. Eine wirtschaftspolitische Trendwende zeichnet sich damit nicht ab."

«Zunächst eine gute Nachricht»

Ganz ähnlich die Analyse von Gabriel Felbermayr, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft: "Es wird vermutlich nicht für einen Rot-Rot-Grüne-Koalition reichen, damit ist nicht mit einer extremen Umstrukturierung der Wirtschaftspolitik in Deutschland zu rechnen. Aus wirtschaftlicher Sicht, ist dies zunächst eine gute Nachricht."

Deutschland stehe nun aber eine schwierige Regierungsbildung ins Haus, die sich über Monate ziehen könnte, so Felbermayr: "Ob Ampel, Jamaika oder Minderheitsregierung: Man muss damit rechnen, dass die zukünftige Regierung relativ schwach sein wird, weil sich ideologisch stark unterschiedlich positionierte Parteien auf ein Programm einigen müssen. Eine länger andauernde Lähmung und politische Unsicherheit bedeuten wirtschaftlich nichts Gutes, vor allem angesichts der enormen anstehenden Zukunftsaufgaben. Weil ohne die Grünen gar nichts geht, ist mit einer starken Ausrichtung auf Klimapolitik zu rechnen. Für andere Themen, zum Beispiel das Thema Rentenreform, wird wohl wenig Energie bleiben."

China statt Deutschland

Aus einer internationalen Perspektive ist das Bild ähnlich –  wenngleich mit anderer Färbung: "Kurzfristig wird sich in der deutschen Politik nichts ändern", sagt beispielsweise Michael Hewson, Anlagestratege bei CMC Markets in London. "Anleger werden ihre Aufmerksamkeit daher auf die Ereignisse in China sowie die verschiedenen Lieferengpässe richten."

Recht konkret wird übrigens die Credit Suisse in einer ersten Reaktion: Da die politische Basis sehr fragmentiert sei, werde es schwer, eine Koalition zu bilden, so eine Notiz des Global CIO. "Eine von Mitte-Rechts geführte Regierung ist immer noch möglich, aber die Grünen werden wahrscheinlich einer der ‘Königsmacher’, was bedeutet, dass die nächste Regierung ihre Ausgaben (und Schulden) erhöhen muss, um den Weg hin zu Nullemissionen zu ebnen."

Eine Regierung in Berlin, die fiskalisch weniger konservativ sei und potenziell eher zur europäischen Integration neigt, "unterstützt unsere Erwartung günstiger makroökonomischer Bedingungen, was unsere Übergewichtung von deutschen und spanischen Aktien unterstützt."

Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters.

Dieser Artikel erschien zuerst auf HZ unter dem Titel: "Stillstand droht – aber wenigstens nicht in rot".