Unter 1,40 ist das Pfund in den letzten Jahren selten gesunken, abgesehen von den Tagen nach dem 15. Januar 2015, als der SNB-Franken-Entscheid sämtliche Devisenrelationen massiv durcheinanderwirbelte. Seit aber konkret ist, dass Grossbritannien am 23. Juni über den Verbleib oder Austritt aus der Europäischen Union abstimmt, ist der Sterling unter Druck geraten. Zwischen vergangenem November und diesem Monat sank der Franken-Pfund-Kurs von 1,56 auf 1,34 Franken. Aktuell steht das Wechselverhältnis bei 1,41 Franken.

Pfund-Franken-Wecheslkurschart der letzten sechs Monate (Quelle: cash.ch)

Die Finanzmärkte sehen mehrheitlich wenig Vorteile im EU-Austritt des Landes - sie fürchten den Brexit gar. Derzeit bauten die Anleger hohe Short-Positionen auf das Pfund auf, sagt Ursina Kubli, Währungsanalystin bei der Bank J. Safra Sarasin: "Die Unsicherheit ist gross, wobei das Risiko eines möglichen Austritts-Szenario in den Kursen eingepreist ist."

Ein Austritts-Votum am 23. Juni würde grosse Verwerfungen auslösen und das Pfund stark schwächen, aber auch den Euro-Dollar-Kurs belasten. Fast unvermeidlich wäre dabei auch ein starker Aufwertungsdruck auf den Franken: "Die Nationalbank müsste dann wohl wieder stärker intervenieren", sagt Ursina Kubli.

Kritik an David Camerons Deal

Am weit wichtigeren Pfund-Dollar-Kurs lassen sich die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Wochen hinsichtlich der Abstimmung vom 23. Juni ablesen. Der Kurseinbruch Ende Februar fand statt, als Premierminister David Cameron die Ergebnisse seiner Verhandlungen mit den übrigen 27 EU-Ländern vorstellte, die dem Vereinigten Königreich in einigen Fragen einen erweiterten Sonderstatus einräumen sollten.

Nachdem aus Camerons eigener Conservative Party dieses Abkommen als zu wenig weitreichend kritisiert wurde, und vor allem, sich der populäre Londoner Bürgermeister Boris Johnson für den EU-Austritt stark gemacht hatte, sank der Währungskurs. Johnson, selbst Mitglied der "Conservatives" und einer der möglichen Nachfolger Camerons als Regierungschef, hat dem "Leave"-Lager einen Schub geben. Umgekehrt lässt sich aus einer Aufwertung des Pfunds zum Dollar seit Anfang April herauslesen, dass dass "Remain"-Lager in den Umfragen derzeit führt und dass Ende vergangener Woche US-Präsident Barack Obama Grossbritannien wirtschaftliche Nachteile ausmalte, sollte es die EU verlassen.

Über den Ausgang des Juni-Referendums lässt sich derzeit noch wenig voraussagen. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass das Remain-Lager seinen Vorsprung in den Umfragen hält und gewinnt: Die Prognose, dass ein EU-Austritt ein "Schritt ins Dunkle" ist, würde bei den Wählern in diesem Fall verfangen. Äussere Einflüsse wie ein neues Aufflammen der Flüchtlingskrise könnte die Situation aber auch drehen. Zudem ist immer schwer abzuschätzen, wie die grosse und für Wahlergebnis wichtige Mittelschicht im Landesteil England abstimmt. Schliesslich: Die Umfragen in Grossbritannien zeigen teilweise ein erstaunlich unpräzises Bild. Die Brexit-Abstimmung wird zur spannendsten Frage dieses Jahres.

«Bremain» würde Pfund stützen

Im Falle eines Verbleibs der Briten in der EU - analog zum Kunstwort Brexit wird dieses Szenario nun "Bremain" genannt - würden die Short-Positionen auf dem Pfund wohl rasch geschlossen und die Währung stärken, sagt Währungsspezialistin Kubli. Dann richte sich das Augenmerk wieder auf die Bank of England und die Frage, wann diese die Zinsen erhöht. Vor 2017 würden die britischen Währungshüter aber so oder so nicht zuschlagen.

Devisenanleger tun im Moment gut daran, kein Pfund zu kaufen, da die Unsicherheiten zu gross sind. Nur Anleger, die sich gewiss sind, dass der Brexit nicht kommt (wie gesagt, es spricht einiges dafür, aber sicher ist noch nichts) sollten diese Wette eingehen.

Für jene, die gerne und oft nach London fliegen und dort einkaufen, oder jene, die als Ferienreisende die Schönheiten der englischen oder schottischen Landschaften geniessen wollen - für sie bietet sich derzeit eine günstige Gelegenheit in Form eines tieferen Wechselkurses. Woche für Woche kommen neue Umfragen heraus, wie sich die Wähler im Juni verhalten könnten: Solange diese kein präzises Bild abgeben, bliebt das Pfund unter Druck.