Die Grundlagen der Vereinbarung gebe es bereits, hatte EU-Ratschef Donald Tusk zuvor im polnischen Fernsehen gesagt. "Gestern Abend hätte ich darauf gewettet, dass der Deal fertig ist und akzeptiert wird. Heute sind wieder einige Zweifel von der britischen Seite aufgekommen." Die Situation im britischen Parlament sei kompliziert. Tusk zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass binnen weniger Stunden eine Klärung möglich sei. "Alles läuft in die richtige Richtung", sagte er.

Wie der britische Premierminister Boris Johnson am späten Nachmittag seinem Kabinett mitteilte, gibt es die Chance, einen "guten Deal" sicherzustellen. Doch seien einige Punkte noch nicht geklärt. Die Kabinettssitzung wurde daher vorzeitig abgebrochen.

Johnson will einen Deal bei dem am Donnerstag beginnenden Gipfel, um den Brexit wie geplant am 31. Oktober geregelt und ohne Chaos zu vollziehen. Ohne Einigung müsste der Premier nach einem britischen Gesetz ab Samstag eine Fristverlängerung bei der EU beantragen. Das will Johnson nicht. Dennoch würde er sich im Fall der Fälle der Vorgabe beugen, wie Brexit-Minister Stephen Barclay bekräftigte.

Am Samstag soll - so die Planungen - das Parlament in London zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über den Deal abzustimmen. Die Sitzung wäre etwa zwischen 10.30 und 15 Uhr MESZ.

Umstritten ist nach wie vor die Frage, wie die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland offen gehalten werden kann. Johnson hatte dem irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar dazu vorige Woche neue Angebote gemacht und so Bewegung in den festgefahrenen Streit gebracht. In den vergangenen Tagen legte die britische Seite nach EU-Angaben noch einmal nach.

Im Einzelnen muss geklärt werden, wo und wie Zoll- und Warenkontrollen stattfinden sollen. Zur Debatte steht zudem, welche Mitsprache die nordirische Volksvertretung bei der künftigen Anwendung von EU-Regeln in Nordirland haben soll. Dritter Streitpunkt sind mögliche Verpflichtungen Grossbritanniens, auch künftig EU-Sozial- oder Umweltstandards nicht zu unterbieten, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Varadkar äusserte sich am Mittwoch optimistisch. Er sehe Fortschritte in den Verhandlungen, wenngleich noch Punkte geklärt werden müssten, sagte Varadkar nach Telefonaten mit Johnson und der EU-Kommission.

Die Verzögerungen bei den Verhandlungen gingen offenbar darauf zurück, dass sich die britischen Unterhändler mit London abstimmen mussten. Ein EU-Vertreter sagte spät nachmittags, man warte auf Rückmeldung aus der britischen Hauptstadt.

Johnsons Zugeständnisse an die EU könnten die nötige Unterstützung im britischen Parlament aufs Spiel setzen. Der Premier hat keine Mehrheit im Unterhaus und ist auf jede Stimme angewiesen. Knackpunkt könnte sein, dass künftig wohl doch eine Zollgrenze zwischen der EU und Grossbritannien in der Irischen See verlaufen könnte. Mit dieser Lösung wird jedenfalls in deutschen Regierungskreisen gerechnet.

Ein solcher Vorschlag war schon einmal in London auf heftigen Widerstand gestossen. Die Chefin der nordirischen Protestantenpartei DUP, Arlene Foster, hatte ihn als "blutige rote Linie" bezeichnet. Entscheidend dürfte nach Einschätzung des früheren Brexit-Ministers David Davis sein, ob die DUP nun eine Einigung mitträgt. "Viele Tory-Abgeordnete werden sich danach richten, was die DUP macht", sagte der Brexit-Hardliner der BBC.

DUP-Chefin Foster twitterte, es müsse ein vernünftiger Vertrag herauskommen, den sowohl die Unionisten als auch die Nationalisten unterstützen: "Die Diskussionen gehen weiter."

Johnson hatte Foster am Dienstag zu einem eineinhalbstündigen Gespräch in London getroffen. Am Mittwoch wollte er den Dialog laut Downing Street fortsetzen. Britische Medien spekulierten, dass eine grosse Finanzspritze die Entscheidung der DUP für ein solches Abkommen erleichtern könnte./vsr/DP/stw

(AWP)