Die Briten würden sich gerne sofort darauf konzentrieren, eine Post-EU-Identität zu entwickeln, aber für die EU geht es zuallererst um die 60 Milliarden Euro, die Grossbritannien ihr angeblich schuldet.

Premierministerin Theresa May plant, bis Ende März den Brexit-Prozess formal anzustossen. Kurz danach werden die Verhandlungen losgehen. Dann dürfte die EU ihr die Schlussrechnung präsentieren.

Ein leitender EU-Unterhändler sagte mir im Januar, die EU werde verpflichtet sein, Grossbritannien zur Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen zu zwingen, weil sie ansonsten ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben würde. Darüberhinaus werde die EU von May eine frühzeitige Zusage fordern, dass sie bereit sei, die Schlussrechnung zu begleichen, bevor die weiteren Gespräche fortgesetzt werden könnten, so der Unterhändler.

Die EU argumentiert, Grossbritannien schulde ihr Geld für Pensionsverpflichtungen für den öffentlichen Dienst, laufende Projekte, Kreditgarantien und andere unbezahlte Haushaltsverpflichtungen. Die Zahl von 60 Milliarden Euro ist die höchste Schätzung, aber selbst die niedrigste Zahl, die je von einem EU-Vertreter erwähnt wurde, liegt bei 40 Milliarden Euro. Das ist etwa so viel, wie die britische Zentralregierung jedes Jahr für Bildung ausgibt.

Für Brexit-Anhänger eine Enttäuschung

Diese Geldforderung der EU dürfte die Verhandlungen schwierig machen. So hatte die Pro-Brexit-Bewegung in der Kampagne vor dem Referendum gefordert, die EU-Beiträge Grossbritanniens sollten lieber für das nationale Gesundheitssystem verwendet werden. "Wir schicken der EU jede Woche 350 Millionen Pfund", stand seinerzeit auf einem Kampagnen-Bus. "Lasst uns damit lieber unser eigenes Gesundheitssystem finanzieren."

Diese implizite Forderung nach mehr Geld für das Gesundheitssystem wurde schnell wieder zurückgenommen, nachdem das Referendum vorüber war. Sie war von Anfang an absurd, denn sie berücksichtigte nicht den Rabatt, den Grossbritannien erhält, und auch nicht Zahlungen von der EU, die bei einem Austritt eingestellt würden.

Trotzdem werden die Brexit-Anhänger Sturm laufen gegen die Idee, dass das Land für seinen EU-Austritt zahlen soll. Der konservative Parlamentarier John Redwood sagte, entsprechende Diskussionen seien "totaler Blödsinn". Auf seiner Website schrieb er:

"Es gibt nichts in den EU-Verträgen, was eine zusätzliche Einmalzahlung von einem Land verlangen würde, das die EU verlässt. Es gibt auch nichts im Vertrag, was nach einem Austritt weitere Haushaltsbeiträge fordert. Das ist klug, denn wenn ein Land austritt, verlässt es ja den juristischen Einflussbereich der EU, die solch eine Forderung durchsetzen könnte. Der Artikel 50 ist klar. Sobald ein Land austritt, hat es keine Rechte und Ansprüche mehr, und auch keine Verpflichtungen mehr."

Die Schlussrechung ist nicht die einzige Schwierigkeit bei den Verhandlungen. So bleibt Grossbritannien während der zwei Jahre, die für die Verhandlungen vorgesehen sind, ein EU-Mitglied. Das Land kann also theoretisch bei der Festsetzung von Vorschriften und Regularien mitwirken, die nach dem britischen Austritt für die anderen Mitgliedsländer gelten. Das verschafft Grossbritannien einen unlauteren Vorteil.

UK als Steueroase?

Dann ist da der Wunsch der Briten, bereits jetzt an Handelsvereinbarungen mit Nicht-EU-Ländern zu arbeiten. Das macht Sinn mit Blick auf die Handelslandschaft nach dem Brexit, und die EU dürfte das auch unterstützen. Aber dafür muss man ein wenig an den bestehenden Vorschriften drehen, die EU-Mitgliedern untersagen, im Alleingang Vereinbarungen zu treffen.

Zurzeit gestalten sich die Verhandlungen schwierig. Die Drohung der Briten, aus dem Land eine Steueroase für Unternehmen zu machen, hat EU-Offizielle wie den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem verärgert. Als Revanche erwägen EU-Unterhändler nun eine Klausel in einer möglichen späteren Vereinbarung mit Grossbritannien, die alle Verpflichtungen für nichtig erklären würde, wenn London von seinem derzeitigen Wirtschafts- und Sozialmodell deutlich abrücken würde, schrieb der Brüsseler Nachrichtendienst Mlex am 27. Januar.

Das erinnert uns daran, dass die Verhandlungen Grossbritanniens nicht im luftleeren Raum stattfinden. Jedes der anderen 27 Mitgliedsländer hat seine eigenen Ziele, und manche davon werden mit den Wünschen Grossbritanniens kollidieren. "Die Hardliner sind zahlreicher als es den Anschein hat", sagte Italiens Vize-Aussenminister Mario Giro in der britischen Zeitung The Guardian. "Das wird ein Wirtschaftskrieg. Oder ein kalter Wirtschaftskrieg, wenn Sie so wollen. Uns gefällt das nicht."

Sollte die EU darauf beharren, dass May für den Austritt bezahlt, und sollte May ablehnen, dann könnten die Verhandlungen vorbei sein, ehe sie auch nur begonnen haben. Im Januar sage May, sie sei "sicher, dass kein Deal für Grossbritannien besser ist als ein schlechter Deal". Dasselbe dürfte aber auch für den Rest der EU gelten. Und auch wenn schwer vorherzusagen ist, was "kein Deal" genau bedeuten würde, ist doch klar, dass ein Patt keiner Seite bei dieser Scheidung dienen würde.

(Diese Kolumne gibt nicht unbedingt die Auffassung von Bloomberg LP wider. Mark Gilbert ist Kolumnist bei Bloomberg News. Die dargestellte Meinung ist seine eigene.)

(Bloomberg)