Lance Paul hat sein Haus in West-London im Mai letzten Jahres mit einem Preisschild von 1,5 Millionen Pfund (1,99 Millionen Franken) auf den Markt gebracht. Ein Jahr später fordert der pensionierte Hausverkäufer 1,1 Millionen Pfund und hat noch immer keinen Käufer gefunden.

Dutzenden von Besichtigungen führten zu nichts. Nach ein paar absichtlich zu niedrigen Geboten hat der 71-Jährige ein Angebot. Dieses liegt schmerzhaft nahe der Untergrenze, unter die er, wie er sich selbst versprochen hatte, niemals gehen würde. "Die Angst aus meiner Sicht ist, dass es noch weiter nach unten gehen könnte, weil die Dinge so volatil sind", sagt Paul.

Ähnliche Überlegungen finden in ganz London statt. Die Verkäufer wägen ab, ob sie in einem fallenden Markt das nehmen sollen, was sie bekommen können, oder abwarten - in der Hoffnung, dass der Einbruch nur von kurzer Dauer sein werde. Während der letzten vier Jahrzehnte - durch Tory- und Labour-geführte Regierungen und über Finanzbooms und -Zusammenbrüche hinweg - erwies sich Aussitzen als kluger Weg. Die Frage ist nun, ob der Brexit und der allmähliche Rückzug aus der Politik des lockeren Geldes rund um den Globus das gegenwärtige Holpern in etwas viel Schlimmeres verwandeln wird.

«Der Kater fängt an»

"Die Party am Londoner Wohnungsmarkt ist vorbei und der Kater fängt gerade erst an", sagt Neal Hudson, Gründer der Research-Firma Residential Analysts. "Geringere Nachfrage aufgrund von Brexit oder Zinssteigerungen könnte weitere Hausbesitzer und Investoren unter Druck setzen, zu verkaufen."

Seit 1973, dem Jahr, in dem Grossbritannien der Europäischen Union beitrat, ist der durchschnittliche Londoner Hauspreis von knapp 13'000 Pfund auf etwa 474'000 Pfund geklettert - ein 36-facher Anstieg, wie aus Angaben von Nationwide, der grössten britischen Bausparkasse, hervorgeht. Die letzte grosse Wende fand während der Finanzkrise statt, als die Preise um 20 Prozent fielen. Doch seit ihrem Tiefpunkt im Jahr 2009 haben sie sich fast verdoppelt.

Die Rückgänge diesmal waren bescheiden. London verzeichnete den ersten jährlichen Preisrückgang seit mehr als acht Jahren im Februar, als die Preise laut staatlicher Daten um ein Prozent sanken. Allerdings gab es in den zentraleren Stadtbezirke höhere Verluste, und die vorausschauenden Indikatoren, wie die Zeit, die für den Verkauf von Immobilien benötigt wird, deuten auf eine weitere Talfahrt hin.

Säulen des Preiswachstums bedroht

Pessimisten befürchten, dass einige der Säulen, die den lange währenden Immobilienboom in London stützten - von Tiefstzinsen bis hin zu grosszügiger staatlicher Unterstützung - bedroht sind. In den USA haben die 10-jährigen Treasury-Renditen den höchsten Wert seit fast sieben Jahren erreicht und damit die Prämie, die Immobilien in den letzten zehn Jahren gegenüber Anleihen geboten haben, verringert. Das dämpft die relative Attraktivität von Londoner Liegenschaften, insbesondere für diejenigen, die von ausserhalb des Landes kommen.

Internationale Käufer machten nach Angaben des Maklers Hamptons International in der zweiten Jahreshälfte 2017 mehr als die Hälfte der Immobilienkäufer in guten Lagen der Londoner Innenstadt aus und fast ein Drittel im Grossraum London. Sowohl Investoren aus Übersee als auch aus dem Vereinigten Königreich, die Wohnimmobilien zur Weitervermietung kaufen, haben in den letzten zehn Jahren einen immer wichtigeren Platz auf dem Londoner Markt eingenommen. Angezogen wurden sie von höheren Renditen für Mietobjekte in Zeiten niedriger Zinsen.

Doppelter Schlag

"Was passiert mit Immobilien, wenn die realen Zinsen steigen? In der einfachsten Form sinken die Werte", sagt William Hughes, Managing Director und Global Head Research and Strategy für Immobilien- und Privatmärkte im Asset Management der UBS in London. "Wenn Wirtschaft zu kämpfen hat, während die globalen Zinssätze steigen, wäre das ein doppelter Schlag für London."

Änderungen, die die Regierung in den letzten Jahren vorgenommen hat, um Immobilienspekulanten abzuwehren, könnten ebenfalls belasten. Die Reformen beinhalteten eine Erhöhung der Umsatzsteuer auf Zweitwohnungskäufe und die allmähliche Abschaffung von Steuererleichterungen für Hypothekenzinsen auf Mietwohnungen. Eine beliebte Initiative, die den Immobilienmarkt unterstützte, der "Hilfe zum Kauf" Kredit-Plan, soll im Jahr 2021 auslaufen, es sei denn, er wird wieder verlängert.

Brexit-Folgen umstritten

Über allem steht die mögliche Auswirkung des Austritts Grossbritanniens aus der Europäischen Union. Weniger als ein Jahr nach dem geplanten Ausstiegstermin sind die Bedingungen dieses Bruchs so unklar wie nie zuvor. "Was passiert, wenn die Mieten um 20 Prozent fallen, weil wir einen schlechten Brexit hatten und niemand hierher kommen will?", fragt Richard Donnell, Leiter Research and Insight bei Hometrack, das Daten und Analysen zum Immobilienmarkt liefert.

Die Stadt hatte eine gute Phase. In Londons besten Stadtteilen sind die Preise seit 1989 um mehr als 500 Prozent gestiegen, zeigt ein vom Makler Knight Frank veröffentlichter Index. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Wert von Eigentums- und Genossenschaftswohnungen im New Yorker Stadtteil Manhattan stieg in diesem Zeitraum um knapp 350 Prozent, wie von Miller Samuel zusammengestellte Daten zeigen.

Doch nicht jeder erwartet, dass der Brexit oder etwa höhere Zinsen den Immobilienmarkt umstülpen. Der Einbruch des Pfund-Kurses, nachdem die Briten im Juni 2016 beschlossen, die EU zu verlassen, dämpfte den Schlag: Häuser in London für Käufer aus dem Ausland wurden erschwinglicher. Die Aussicht auf eine schwächere Währung bleibe eine Versicherung gegen einen ungeordneten Brexit, sagt Savvas Savouri, Chefökonom bei Toscafund Asset Management. Er ist optimistisch in Bezug auf den Wohnungsmarkt und unterstützt den Austritt aus der EU.

Das Risiko heisst Corbyn

Er sieht jedoch ein grosses politisches Risiko jenseits des Brexit: Den potenziellen Aufstieg des Parteichefs der Labour Party und linksgerichteten Sozialisten Jeremy Corbyn zum Premierminister. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr versprach Corbyn unter anderem, Mietkontrollen einzuführen, was auf eine weniger unternehmensfreundliche Ära zurückführen würde. Sollte eine Labour-Regierung kommen, "wird das Pfund zusammenbrechen", sagt Savouri. Das würde zu einer "echten Massenflucht" von Kapital aus Grossbritannien führen, glaubt er.

All diese "Was-wäre-wenn"-Konstellationen erschweren die Dinge für Eigentümer wie Lance Paul, der das Kaufangebot für sein Haus in Shepherds Bush in Betracht zieht. Er will Geld für Arztrechnungen ansammeln, seine bescheidene Rente aufstocken und mehr in die Nähe zu seinem Sohn ziehen, der durch himmelhohe Immobilienpreise aus London vertrieben wurde. "Wir wollen jetzt umziehen - also müssen wir akzeptieren, dass wir, wenn wir durchhalten würden, mehr bekommen könnten", sagte er. "Aber ich glaube nicht, dass wir vor drei Jahren aus diesem Haus rauskommen würden."

(Bloomberg)