Dank der damit verbundenen Rezession werden sich viele Verbündete wohl wesentlich schneller als erwartet auf das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz zubewegen. Denn da die zwei Prozent als Anteil am Bruttoinlandsprodukt gemessen werden, das in der Wirtschaftskrise schrumpft, gewinnt der als feste Summe beschlossene Wehretat anteilsmässig automatisch an Gewicht.

Finanziell könnte das Bündnis nach der Krise trotz schicker Zahlen dennoch eher schlechter dastehen, warnen Diplomaten und Experten. Sie rechnen damit, dass der Wirtschaftseinbruch Kürzungen der Wehretats nach sich ziehen wird.

"Es ist ein paradoxer Effekt: Die Nato kommt ihrem Zwei-Prozent-Ziel näher, ohne einen Cent mehr an Verteidigungsausgaben auszugeben", sagt der Professor für Internationale Politik an der Bundeswehr-Universität München, Carlo Masala. Die aktuelle Lage zeige, wie unsinnig die Koppelung des Nato-Ziels an die Wirtschaftsleistung sei.

Militärallianz wird nicht profitieren

"Man erwartet für die Bundesrepublik Deutschland momentan zum Beispiel ein Minus im laufenden Jahr von fast 15 Prozent (...) Das heisst, aus den 1,35 Prozent (Nato-Quote), die die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig hat, werden 1,6 oder 1,7 Prozent." Im Endeffekt werde sich die Nato-Quote bei allen Mitgliedsstaaten erhöhen, ohne dass mehr Geld für Verteidigung ausgegeben werde. Die Militärallianz selbst werde davon allerdings nicht profitieren.

Masala rechnet vielmehr mit Einschnitten bei den Wehretats. "Ich gehe davon aus, dass wir spätestens im Haushaltsjahr 2021 in vielen Ländern eine sehr substanzielle Kürzung von Verteidigungsausgaben sehen werden, weil das Geld an anderen Stellen gebraucht wird", spielt der Militärexperte auf Ausgaben für Konjunkturprogramme oder das Begleichen von Schulden an. "Und dann ist wie immer der Verteidigungsetat einer der ersten Etats, dem man sich zuwenden wird und den man schlachten wird, um hier Geld rauszuholen."

In Deutschland komme hinzu, dass 2021 Bundestagswahlen anstünden und die Union womöglich mit Gegenwind vom Koalitionspartner SPD rechnen müsse. Er gehe daher davon aus, dass im Gegensatz zu den Vorjahren keine weitere Steigerung des Wehretats beschlossen werde. Nach bisherigen Aussagen will Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bis 2031 eine Nato-Quote von zwei Prozent erreichen.

Verteidigungsbudgets werden schrumpfen

In Nato-Kreisen wollen viele die Debatte über die Militärausgaben am liebsten auf die Zeit nach der Corona-Krise verschieben. Diplomaten gehen aber davon aus, dass die Verteidigungsbudgets in der Tat schrumpfen dürften. Man sei sich in der Allianz sehr wohl bewusst, dass Italien und Spanien eine Erhöhung der Wehrausgaben auf zwei Prozent nicht stemmen könnten, heisst es im Bündnis. Die beiden Länder sind mit Tausenden von Toten am schwersten in Europa von der Pandemie betroffen und gaben schon vorher weniger als andere für ihr Militär aus. Auch Tschechien hat bereits erklärt, es werde seine Verteidigungsausgaben bis 2024 nicht erhöhen.

"Es hat eine Grenze, wie zwanghaft wir die zwei Prozent verfolgen können", sagt ein Diplomat. "Politisch war das Ziel nützlich für Trump, aber es ist unklar, ob es wirtschaftlich darstellbar bleibt." Seit 2017 hatte Trump Verbündete, die die zwei Prozent nicht erreichen, und speziell Deutschland immer schärfer attackiert und mit seiner Wortwahl selbst hartgesottene Diplomaten ins Staunen gebracht. Der US-Präsident warf Alliierten vor, sie schuldeten ihm Geld, oder bezeichnete sie als Gesetzesbrecher. Beim Nato-Gipfel im Dezember in London lud er zu einem exklusiven Mittagessen, bei dem nur die Staaten erwünscht waren, die die zwei Prozent erreichen. 2019 dürfte dies einem kürzlich veröffentlichten Nato-Bericht zufolge neun Mitgliedern der Allianz gelungen sein.

Der Münchner Professor Masala geht nicht davon aus, dass eine bessere Nato-Quote wegen der Corona-Krise Trump nachhaltig besänftigen wird. "Er kann möglicherweise innenpolitisch damit punkten, aber natürlich weiss jeder, der sich damit auskennt, dass das eine Farce ist", sagt der Experte. Im Wahlkampf werde Trump das Thema vermutlich dennoch zu seinen Gunsten nutzen. Sollte es dem US-Präsidenten gelingen, sich eine zweite Amtszeit zu sichern, dürfte dies nach Einschätzung des Experten "schlimmste" Konsequenzen haben.

"Ich gehe davon aus, dass wir dann endgültig das Ende der Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg in der internationalen Politik sehen werden", warnt Masala unter Verweis darauf, dass Trump dann nicht mehr auf seine Wiederwahl-Aussichten Rücksicht nehmen müsse. Die Corona-Krise werde die USA wirtschaftlich extrem belasten. Es sei davon auszugehen, dass Trump von den Nato-Partnern dann schlicht mehr verlangen werde: "Ich würde nicht einmal ausschliessen, dass er statt zwei Prozent drei Prozent fordern wird - und dass wir in Zerwürfnis in den transatlantischen Beziehungen bekommen werden, das wirklich unumkehrbar ist für die nächsten Jahrzehnte." 

(Reuters)