In den nächsten 30 Jahre der Globalisierung werde man wegkommen von der Fixierung auf die Bedürfnisse der Märkte in Nordamerikaner und Europa, sagte Scholz am Donnerstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Länder auf der Südhalbkugel hätten sich zu leistungsfähigen Volkswirtschaften mit eigener Nachfrage entwickelt, "die denselben Wohlstand beanspruchen und um dieselben Güter konkurrieren wie wir." Damit gingen auch die Zeiten zu Ende, in denen es in Nordamerika und Europa lange verlässliches Wachstum, hohe Wertschöpfung und niedrige Inflation gegeben habe.

Deshalb sei künftig mehr und nicht weniger internationale Zusammenarbeit nötig, sagte Scholz. Er erteilte Überlegungen für eine bipolare Welt mit den Supermächten USA und China als Führungsnationen eine klare Absage. Deshalb könne es auch keinen Anspruch auf chinesische Hegemonie in Asien geben, betonte Scholz, der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang kritisierte. Die Welt werde vielmehr multipolar und multilateral mit vielen Kraftzentren. "Eine multipolare Welt ist keine regellose Welt", sagte der Kanzler zugleich etwa mit Blick auf Russlands Angriff auf die Ukraine. Deshalb müssten gerade die Demokratien weltweit engerer zusammenarbeiten.

Wichtig sei, dass sich die reichen westlichen Industrieländer solidarisch gegenüber den globalen Folgen "in Form drohender Hunger-, Rohstoff- und Inflationskrisen" zeigten. Hintergrund ist die derzeitige Explosion der Energie- und Nahrungsmittelpreise auch infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine, unter denen Entwicklungsländer besonders leiden. "Wenn wir wollen, dass diese Länder auch in Zukunft Freiheit und Recht gemeinsam mit uns verteidigen, dann müssen wir uns auch ihren Sorgen gegenüber solidarisch zeigen", sagte er und verwies auf seine Afrikareise in den vergangenen Tagen sowie deutsche Hilfe etwa bei der Impfstoffproduktion in Afrika.

Scholz warnte zugleich vor einer schleichenden De-Globalisierung in der Welt. Es sei zwar richtig, dass Lieferketten in strategischen Bereichen diversifiziert werden müssten. "Zugleich müssen wir Acht geben, dass aus notwendiger Diversifizierung kein Vorwand wird für Abschottung, Zollschranken und Protektionismus", fügte er hinzu. "Um es klar zu sagen: Die De-Globalisierung ist ein Holzweg."

Scholz hat sich zudem erneut überzeugt davon gezeigt, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen wird. "Schon jetzt hat er alle seine strategischen Ziele verfehlt", sagte Scholz in seiner Rede weiter. "Eine Einnahme der gesamten Ukraine durch Russland scheint heute weiter entfernt als noch zu Beginn des Krieges. Mehr denn je betont die Ukraine ihre europäische Zukunft."

Zudem habe die "Brutalität des russischen Kriegs" die ukrainische Nation enger zusammengeschweisst als je zuvor und zwei Staaten zur Annäherung an die Nato bewogen: "Mit Schweden und Finnland wollen sich zwei enge Freunde und Partner dem nordatlantischen Bündnis anschliessen. Sie sind herzlich willkommen!", sagte der Kanzler. Putin habe auch die Geschlossenheit und Stärke unterschätzt, mit der die Gruppe der sieben grossen Industrienationen (G7), die Nato und die EU auf seine Aggression reagiert hätten.

Putin wolle zurück zu einer Weltordnung, in der der Stärkere diktiere, was Recht sei, sagte Scholz. "Das ist der Versuch, uns zurück zu bomben in eine Zeit, als Krieg ein gängiges Mittel der Politik war." Der Krieg mache ihm jeden Tag Sorge, sagte Scholz im abschliessenden gespräch mit WEF-Gründer Klaus Schwab.

Das Weltwirtschaftsforum in Davos geht an diesem Donnerstag nach vier Tagen zu Ende. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert inzwischen schon mehr als drei Monate.

(AWP/Reuters/cash)