"Ich gehe nach Brüssel, um Herrn Sefcovic kennenzulernen und gemeinsam mit ihm eine Standortbestimmung vorzunehmen", sagte Cassis am Dienstag in einem Interview der "Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)". Dass er nun einen formellen Ansprechpartner hat, wertete der Aussenminister positiv.

In der EU-Kommission ist der 55-jährige Slowake aktuell der "Mann für schwierige Fälle". Denn er ist nicht nur Ansprechpartner für die Schweiz, er vertritt auch die EU im gemeinsamen Ausschuss EU-Grossbritannien, wo heftig über das Nordirland-Protokoll gestritten wird.

Da dürften ihm seine Erfahrungen als ehemaliger Diplomat entgegenkommen. Sefcovic arbeite sehr lösungsorientiert, sagte kürzlich eine EU-Diplomatin im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Doch Sefcovics Spielraum ist begrenzt. Am Ende gibt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Absprache mit den Mitgliedstaaten die Linie vor, welche die EU gegenüber der Schweiz fährt.

Guter Wille gezeigt

Cassis seinerseits bringt eine klare Botschaft mit nach Brüssel. Er werde Sefcovic erklären, dass die Schweiz Zeit brauche, "um ohne Druck innenpolitisch unsere Prioritäten zu klären". Gleichzeitig wolle die Schweiz aber auch die Negativspirale beenden, sagte der Aussenminister in dem Interview weiter und verweist auf die Kohäsionsmilliarde und die Personenfreizügigkeit.

So war das Parlament in der Herbstsession über den eigenen Schatten gesprungen und hatte bedingungslos die Kohäsionsmilliarde freigegeben. Ursprünglich wollte es diese erst freigeben, wenn die EU die Schweiz nicht mehr diskriminiert.

Ausserdem entschied Bern Ende Oktober, die Beschränkung der Personenfreizügigkeit für Kroatien auf den 1. Januar 2022 aufzuheben. Denn aktuell gelten für kroatische Staatsangehörige noch gewisse Beschränkungen. "Nun ist die EU am Zug", macht Cassis im NZZ-Interview deutlich.

Keine Entspannung in Sicht

Doch zurzeit sieht es nicht nach Entspannung zwischen Brüssel und Bern aus - im Gegenteil. Das zeigen auch die Schlussfolgerungen, die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission (APK-N) nach ihrem kürzlich absolvierten Brüssel-Besuch gezogen haben.

Gemäss Kommissionspräsidentin Tiana Angelina Moser (GLP/ZH) hat die EU zum ersten Mal deutlich klargemacht, dass sie die Schweizer Teilnahme an Kooperationsabkommen - wie beispielsweise am EU-Forschungsprogramm "Horizon Europe" - an Fortschritte bei den institutionellen Fragen knüpft.

Cassis selber wird ohne Forderungen nach Brüssel kommen. Das machte er in der NZZ deutlich: "Genau diese Logik der gegenseitigen Bedingungen wollen wir beenden."

Kohäsionsmilliarde

Unter diesen Voraussetzungen dürfte der Besuch Cassis' bei Sefcovic nicht einfach werden. Trotzdem werden gewisse Erwartungen an den Schweizer Aussenminister gestellt - zum Beispiel merkliche Fortschritte bei der noch zu unterzeichnenden Grundsatzerklärung Schweiz-EU, einem "Memorandum of Understanding" (MoU), zur Umsetzung des Kohäsionsbeitrags.

Dem Vernehmen nach sind die technischen Arbeiten zum MoU abgeschlossen, doch sollen einige EU-Länder Bedingungen gestellt haben: nämlich, dass eine Verstetigung der Schweizer Kohäsionszahlungen in diesem MoU festgeschrieben wird.

Cassis jedenfalls hatte im Vorfeld seines Besuchs klare Worte an Brüssel: "Wir wollen, dass die Zahlung freiwillig ist, und die EU darauf verzichtet, im aktuellen Abkommen eine Verstetigung und eine Erhöhung der Beiträge zu verankern."

Nach der Freigabe der Kohäsionsmilliarde und dem Entscheid bei der Personenfreizügigkeit seitens der Schweiz sei nun die EU am Zuge, ein positives Zeichen zu setzen, sagte Cassis in der NZZ und spielt damit den Ball der EU-Kommission zu.

(AWP)