Keystone-SDA: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? Schlimmer als in der Finanzkrise?

Aymo Brunetti: In der Finanzkrise war ein Teil der Wirtschaft beschädigt, nämlich der Finanzsektor. Das ist heute zum Glück nicht der Fall. Hingegen musste in der Schweiz und in anderen Ländern wegen Corona eine intakte Wirtschaft teilweise lahmgelegt werden, was unweigerlich einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts zur Folge hat.

Unklar ist nun, wie lange es gehen wird, bis die Wirtschaft wieder voll in Fahrt kommt. Ich befürchte leider, dass es eher lange dauert. Daher rechne ich damit, dass der Einbruch wesentlich ausgeprägter sein wird als bei der Finanzkrise.

Die Euroländer schnüren ein Corona-Hilfspaket. Ist die Eurozone in Gefahr? Und was bedeutet das für die Schweiz?

Insbesondere Italien macht mir grosse Sorgen. Schon vor der Coronakrise war das Land stark überschuldet. Ich hoffe sehr, dass die Euro-Länder alles daran setzen werden mitzuhelfen, Italien vor einem Staatsbankrott zu bewahren. Denn bei einem Bankrott bliebe Italien kaum etwas Anderes übrig, als aus der Eurozone auszutreten, um wieder eine eigene Währung einführen zu können.

Das würde in Italien selbst und über Ansteckungseffekte wohl in der gesamten Eurozone eine massive Finanzkrise inklusive starkem wirtschaftlichem Wirtschaftseinbruch bedeuten. Das hätte für alle Länder Europas katastrophale Folgen und damit auch für die Schweiz. Wir haben also ein sehr grosses Interesse, dass Italien gestützt wird.

Spielt es für die Schweiz eine Rolle, wie im Detail das Corona-Hilfspaket der EU aussieht? Etwa ob Coronabonds eingeführt werden?

Für die Schweiz spielt es keine Rolle, Hauptsache Staatsbankrotte werden abgewendet. Ich bin aber überzeugt, dass es besser ist, in Krisenzeiten auf bestehende Strukturen zurückzugreifen - das geht einfacher und schneller. Für die EU sind das der Europäische Rettungsfonds (ESM) und die Europäische Investmentbank (EIB).

Bei der Einführung von Coronabonds habe ich hingegen Bedenken. Erstens braucht die Schaffung eines so fundamental neuen Instrumentes immer Zeit, die man kaum hat. Zweites wird man aus politischen Gründen derartige Bonds kaum mehr abschaffen können, selbst wenn sie nur temporär eingeführt werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) will mithelfen, die Coronakrise zu meistern - mit einem Pandemie-Notfall-Anleihekaufprogramm. Was bedeutet das für die Schweiz, vor allem für die Schweizerische Nationalbank (SNB)?

Eigentlich kann die Geldpolitik heute direkt wenig machen, um die Folgen der Coronakrise abzufedern. Da die EU aber keine gemeinsame Fiskalpolitik hat, springt hier die EZB ein, indem sie über den Kauf von Staatsanleihen betroffener Mitgliedsländer deren Zinsen nach unten zu drücken versucht.

Mit dem geplanten Anleiheprogramm wird die EZB jedoch ihre Bilanz noch mehr "aufblasen", und die SNB wird weiter auf den Finanzmärkten intervenieren müssen, um eine starke Aufwertung des Schweizer Frankens zu vermeiden.

Hinzu kommt, dass die Schweiz nicht zuletzt dank ihrer guten Staatsfinanzen wohl eher besser durch die Krise kommen dürfte als andere Staaten. Das wird den Franken für Investoren tendenziell noch attraktiver machen. Somit dürften die Negativzinsen und die aufgeblähte SNB-Bilanz noch lange bestehen bleiben.

(SDA)