Während US-Präsident Donald Trump das jüngst vermeldete Rekordwachstum "als das grösste und beste in der Geschichte unseres Landes" bezeichnet, dürfte die immer noch schwache Lage am Jobmarkt eher für Pluspunkte beim demokratischen Herausforderer Joe Biden sorgen. "Praktisch alle Wirtschaftsdaten deuten darauf hin, dass die Erholung bis zuletzt angehalten hat, aber an Schwung verliert", sagt US-Experte Christoph Balz von der Commerzbank. "Es wird zudem immer klarer, dass viele Unternehmen und Arbeitsplätze in der Krise nicht nur temporär weggefallen, sondern dauerhaft verschwunden sind." Im Folgenden ein Überblick zur Lage der Konjunktur:

Bruttoinlandsprodukt

Nach dem Rekordeinbruch der Wirtschaftsleistung von - auf das Jahr hochgerechnet - 31,4 Prozent im Frühjahr folgte im Sommerquartal nun das Rekordwachstum von 33,1 Prozent. Experten sprechen vom mit Abstand stärksten Quartal seit 1947. Trotz der statistischen Verzerrung sieht LBBW-Experte Dirk Chlench einen Hinweis darauf, "dass die Vereinigten Staaten trotz eines chaotischen Corona-Managements in wirtschaftlicher Betrachtung besser durch die Pandemie kommen werden als etwa der Euro-Raum oder das Vereinigte Königreich".

Bastian Hepperle vom Bankhaus Lampe gibt sich skeptischer: "Der BIP-Rekordanstieg wird aber eine Eintagsfliege bleiben, denn die wirtschaftspolitischen Impulse lassen bereits nach, und mit den erhöhten Neuinfektionszahlen droht der Erholung Schnappatmung." Sollte es wegen der seit September wieder steigenden Corona-Fällen zu Lockdowns in einigen Bundesstaaten oder geändertem Verhalten seitens der Verbraucher wie im Frühjahr kommen, "könnte die Erholung im vierten Quartal möglicherweise komplett zum Erliegen kommen", warnt Philipp Hauber vom Kieler IfW-Institut.

Arbeitsmarkt

Am Jobmarkt zeichnet sich keine durchgreifende Erholung ab. Insgesamt stellten vorige Woche 751'000 Amerikaner einen Erstantrag auf staatliche Arbeitslosenhilfe. Das sind 40'000 weniger als in der Woche davor, die Zahl bleibt trotz des Rückgangs für US-Verhältnisse aber sehr hoch. Im Zuge der Corona-Pandemie gingen mehr als 22 Millionen Jobs verloren, von denen bislang nur gut die Hälfte wieder geschaffen wurde. Mit dieser Hypothek geht Trump ins Rennen um das Weisse Haus am 3. November. Er hatte seinen Wählern einst versprochen, "der grösste Job-produzierende" US-Präsident zu sein, den Gott jemals erschaffen habe.

Industrie

Die US-Industrie hat jüngst ihr Wachstum überraschend verringert. Der Einkaufsmanager-Index fiel im September auf 55,4 Punkte von 56,0 Zählern im August, wie aus der Firmenumfrage des Institute for Supply Management (ISM) hervorgeht. LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert spricht von einem "ersten kleinen Dämpfer", betont aber: "Alles in allem bleiben die Aussichten für die kommenden Monate indes günstig, solange es nicht zu neuen breitflächigen Lockdown-Massnahmen wegen der Corona-Pandemie kommt." Commerzbanker Balz erwartet, dass der Index für Oktober steigt. "Dies ändert aber nichts daran, dass weiter weniger produziert wird als vor der Pandemie."

Dienstleister

Die in der Corona-Krise gebeutelten US-Dienstleister konnten ihre Erholung zuletzt überraschend beschleunigen. Der Einkaufsmanager-Index stieg laut ISM-Umfrage im September auf 57,8 Punkte. Das Neugeschäft im Service-Sektor zog spürbar an, und die Firmen schufen unter dem Strich - anders als noch im August - wieder Jobs. Helaba-Experte Patrick Boldt warnt aber, weiter hohe Neuinfektionszahlen und Unsicherheit rund um den Wahlkampfverlauf dämpften den Optimismus.

Konsumentenstimmung

Die wieder erwachte Konsumlust der Amerikaner erwies sich im Sommer als Motor des Aufschwungs: Die privaten Ausgaben legten um annualisiert 40,7 Prozent zu, nachdem sie wegen der Kontaktbeschränkungen und steigender Arbeitslosigkeit im Frühjahr noch deutlich geschrumpft waren. Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank geht allerdings davon aus, dass der "Wachstumsrausch" schon wieder vorbei ist. "Da ein neues Hilfspaket erst in den Wochen nach der Wahl lanciert wird, dürfte der private Konsum im vierten Quartal stärker von der hohen Arbeitslosenquote geprägt sein."

Exporte

Das US-Handelsdefizit ist zuletzt mit 67,1 Milliarden Dollar so hoch ausgefallen wie seit 14 Jahren nicht mehr. Kurz vor der Wahl gilt dies als Rückschlag für US-Präsident Trump. Dieser hat das traditionell hohe Defizit immer wieder heftig kritisiert und wichtigen Handelspartnern wie China vorgeworfen, sein Land über den Tisch zu ziehen. Trump hat deshalb mit Strafzöllen einen Handelsstreit zwischen den beiden grössten Volkswirtschaften auf beiden Seiten ausgelöst. Das US-Defizit im Handel mit der Volksrepublik summierte sich im August dennoch auf fast 26,4 Milliarden Dollar. Die maue Weltwirtschaft und die Unsicherheit rund um den Verlauf der Corona-Krise setzen ein Fragezeichen dahinter, wie sich die US-Exporteure künftig schlagen werden.

(Reuters)