16:09 Uhr am Donnerstagnachmittag lächelt der bekannteste Whistleblower der Welt in den Veranstaltungssaal des Hotels Widder in Zürich. Der Mann ist aber gar nicht anwesend. Er kann schliesslich seit drei Jahren nicht aus seinem Exil ausreisen.

Es ist Edward Snowden, ex-Agent und Held der Privatsphären- und Datenschützer, ein bisschen Held der Staatsmachtgegner aller Art sowieso. Und wie sich an diesem Donnerstag herausstellen sollte: Er ist auch Hero der IT-Security-Welt. Snowden winkt von einer grossen Beamerwand in den übervollen Saal mit 300 Leuten, die ihm zurückwinken. Snowden ist live per Videoleitung aus Moskau zugeschaltet.

"Mir geht es sehr, sehr gut", sagt Snowden erst mal charmant. Das sei aber nicht unbedingt auf sein Gastland Russland zurückzuführen, sondern auf andere Lebensumstände. "Als Flüchtling denkt man nicht mehr an das Morgen, sondern nur noch an das Heute. Insofern ist mein Tag viel ausgefüllter als früher." 

Snowden sagts so, dass man den Eindruck kriegt, als sei dies nicht frei von Sarkasmus. Tatsächlich wechselt Snowden von nun an in den ernsteren Modus. Er ist unüberhörbar verbittert darüber, dass er in einem Gefängnis lebt. Visaanfragen seiner Anwälte in 21 Länder blieben bislang erfolglos. Logisch: Niemand will es sich mit den USA verscherzen. So soll die US-Regierung Ländern, die ein Flugzeug mit Snowden an Bord auf ihrem Gebiet landen lassen, mit einer ernsthaften Verschlechterung der Beziehungen gedroht haben.

Edward Snowden am Donnerstag in Zürich - live per Videoschaltung aus Moskau.

Snowden, der als technische Fachkraft für die Geheimdienste CIA, NSA und DIA gearbeitet hatte, übergab im Juni 2013 den Zeitungen "Washington Post" und "Guardian" Geheimdokumente über Ausspähaktivitäten der USA und Grossbritanniens und sorgte damit für einen Mega-Skandal. Er floh nach Moskau, von wo er nach eigenen Angaben mehrfach den USA angeboten hat, zurückzukehren und damit auch eine Gefängnisstrafe in Kauf zu nehmen, wie Snowden kürzlich der BBC erzählte. 

Doch diese Bemühungen sind an diesem Donnerstag im Widdersaal in Zürich kein Thema. Snowden erklärt in seiner Rede noch einmal die Machenschaften der Geheimdienste, zeigt auf, dass die Dienste nicht nur Terroristen - und dies zu lasch - im Auge hatten, sondern systematisch auch die Unternehmenswelt und auf absurde Weise auch die Bevölkerung.

Snowden redet engagiert, rückt sich die Brille zurecht, reckt immer wieder den Zeigfinger hoch, eine halbe Stunde non-stop. Wie wenn ein rhetorisch gut geschulter Fachexperte in der Tagesschau Auskunft über sein Gebiet gäbe. Und er beantwortet anschliessend Fragen 15 Minuten über die vertraglich vereinbarte Zeit auf einem Niveau, die eine gute Vorbereitung auf das Schweizer IT-Publikum erahnen lässt.

"Doch, der Typ hat fachlich einiges drauf", wird am Ende am Ende ein IT-Firmenbesitzer im Widder-Publikum vermerken. Grundsätzlich Neues sagt Snowden zwar nichts, aber das Publikum hört ihm gebannt zu. Snowden twittert fast täglich, schreibt Essays und veröffentlichte auch ein Musikstück auf dem neuen Album des französischen Elektronikpioniers Jean-Michel Jarre.

Vorbereitungen mit Sicherheit

Für den ersten Live-Video-Auftritt von Snowden in der Schweiz sorgte Lukas von Känel, CEO der 1995 gegründeten Zürcher IT-Security-Firma Avantec. Er hatte gezielt den Kontakt zu Snowden gesucht. Denn von Känel wollte bei seinem Kundenanlass 2016 wie jedes Jahr ein Zugpferd haben. Und nach dem Auftritt von Phil Zimmermann, dem Erfinder der E-Mail-Verschlüsselungssoftware Pretty Good Privacy am Avantec-Anlass 2015, wollte er in diesem Jahr noch einen draufsetzen.

Die anfängliche Kontaktaufnahme mit Snowden war zwar nicht unmöglich, aber unkonventionell und mit Mühen verbunden. Snowden hat für kommerzielle Auftritte eine international bekannte Agentur verpflichtet, die auch Promis wie Bill Clinton oder Kofi Annan vermittelt. Doch weil Snowden per US-Haftbefehl gesucht wird, lassen sich Kontakte mit ihm bloss über seinen Anwalt herstellen. Die E-Mails mit dem Juristen müssen über verschlüsselte E-Mails erfolgen. 

Vor vier Wochen hatte von Känel einen ersten Vorbereitungsaustausch mit Snowden"Der Typ war schon damals voll easy drauf, sehr hilfreich, einer wie Du und ich", sagt von Känel zu cash.ch. Die Vorbereitungen zur Live-Schaltung am Donnerstag waren dann aber aufwändig und nervenaufreibend. Das Verbindungs-Set-up war wegen möglicher Sabotageversuche dreifach abgesichert, und noch vier Stunden vor der Übertragung gabs erhebliche Audio-Probleme. 

Derweil Snowden am Schluss seines Auftrittes einen Triumph einspielt: Ein Jahre altes Video, in welchem US-Geheimdienstdirektor James Clapper die Frage gestellt wurde, ob die USA systematisch Daten von Millionen US-Bürgern sammle. "Nein", antwortete Clapper überzeugt. Letzten Montag, 9. Mai 2016, befürchtete derselbe Clapper in der "Washington Post", dass Snowden noch über viel mehr Dokumente in elektronischer Form verfüge als zunächst angenommen. Dokumente, die Snowden jederzeit publik machen könne.

Snowden selber wurde von den IT-Spezialisten in Zürich mit einem langen Applaus verabschiedet. Fast hätte es eine Standing Ovation gegeben.

Lukas von Känel, CEO der Zürcher IT-Security Avantec, mit Edward Snowden.