Die Ökonomen des grössten deutschen Geldhauses erwarten, dass die Falken im EZB-Rat ihre Kollegen von der Notwendigkeit aggressiver Schritten gegen die Inflation überzeugen werden.

Der Meinungsumschwung verdeutlicht die Dynamik der Debatte, die am Mittwoch auch in der erneuten Forderung des österreichischen Gouverneurs nach einem grossen Zinsschritt zum Ausdruck kam. Bisher zweifeln fast alle Beobachter daran, dass der Vorstoss sich gegen die erklärte Linie von Präsidentin Christine Lagarde und Chefökonom Philip Lane durchsetzen kann.

Die Deutsche Bank-Ökonomen um Mark Wall haben in einer am Dienstag veröffentlichten Analyse eine aggressivere Prognose abgegeben als alle anderen Teilnehmer der aktuellen Bloomberg-Umfrage. Sie folgt auf einen weiteren Inflationsrekord und auf eine Reihe von Äusserungen der Falken im EZB-Rat, die die Möglichkeit eines solchen Schritts bereits angesprochen hatten.

Der jüngste Appell kam am Mittwoch vom Erzfalken Robert Holzmann, dem Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank. Ohne "entschlossenes Handeln" drohten die Teuerungserwartungen für die Verbraucherpreise aus der Verankerung gerissen zu werden, so der EZB-Rat zu Bloomberg.

"Die Beweislast hat sich weiter verlagert, und die Daten des Sommers müssen nun die Argumente für eine Anhebung um 50 Basispunkte zu Beginn dieses Zinserhöhungszyklus widerlegen", schreiben die Ökonomen der Deutschen Bank. "Wir glauben, dass die EZB die Inflation weiterhin unterschätzt, und wir erwarten, dass die Unterstützung für eine Anhebung um 50 Basispunkte im Laufe des Sommers zunehmen wird."

Inflation im Euroraum beschleunigt sich

Während die Deutsche Bank bisher von zwei Zinserhöhungen um je einen Viertelpunkt im Juli und September ausging, rechnet sie nun damit, dass einer dieser Schritte doppelt so gross werden wird, wahrscheinlich eher der spätere.

Am Dienstag zeigte sich, dass sich die Inflation im Euroraum im Mai auf 8,1 Prozent beschleunigt hat, das Vierfache des Ziels der EZB und mehr als Ökonomen befürchtet hatten.

Ein Zinsschritt von 50 Basispunkten würde der Vorgehensweise der Federal Reserve im vergangenen Monat entsprechen. Ausser Holzmann haben auch die Notenbank-Gouverneure aus Lettland, den Niederlanden und der Slowakei öffentlich über eine solche Anhebung gesprochen.

"Eine Anhebung um 50 Basispunkte würde das notwendige klare Signal aussenden, dass die EZB es mit der Inflationsbekämpfung ernst meint", sagte Holzmann zu Bloomberg. "Ein klares Zinssignal würde auch den Euro-Kurs stützen. Der schwache Euro ist an der Inflationsfront nicht hilfreich."

Italiener treten auf die Bremse

Im Gegensatz dazu mahnte der italienische Notenbankchef Ignazio Visco am Dienstag zur Vorsicht und betonte, dass Zinserhöhungen "geordnet" erfolgen müssten, um die Integrität der Eurozone nicht zu gefährden.

Präsidentin Lagarde hatte in der vergangenen Woche einen Fahrplan für die Geldpolitik vorgelegt, der im Juli und September jeweils einen Viertelpunkt-Schritt vorsieht - ein Tempo, das Lane sodann als "Richtwert" bezeichnete. Der französische Gouverneur Francois Villeroy de Galhau betonte letzte Woche, dass eine Anhebung um einen halben Prozentpunkt derzeit nicht Konsens sei.

Diese Ansicht teilt auch der Chef der maltesischen Notenbank, Edward Scicluna, der am Mittwoch in einem Interview mit Market News sagte, er sehe "keine allgemeine Unterstützung für eine Anhebung um 50 Basispunkte", es werde jedoch interessant, das auf der Grundlage der neuen Prognosen zu diskutieren.

Mehrheit für kleineren Zins-Schritt 

"Die Mehrheit des EZB-Rates scheint zwar einen kleineren Schritt zu befürworten, aber die Marktteilnehmer werden die Äusserungen nach der EZB-Sitzung am 9. Juni genau beobachten, um Hinweise zu erhalten", schreibt Bloomberg Economics.

Kleine Zinsschritte spiegeln sich derzeit auch in den Prognosen der Beobachter wider, auch wenn einige einräumen, eine stärkere Erhöhung sei möglich. Wall und seine Kollegen von der Deutschen Bank gehörten zu denjenigen, die bereits im April laut über die Möglichkeit einer Anhebung um 50 Basispunkte nachgedacht hatten.

(Bloomberg)