Als der Kameramann Mark Xia diesen Monat nach den Ferien an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, erlebte er eine böse Überraschung. Er wurde von seinem Arbeitgeber - einer Videoproduktionsfirma in Shanghai - aufgefordert, drei Monate unbezahlten Urlaub zu nehmen.

Seine Chefs begründeten das mit der Coronavirus-Epidemie, die derzeit viele Geschäfte in China beeinträchtigt. Nun sucht Xia nach einem Teilzeitjob, nachdem das etwa 100 Mitarbeiter zählende Unternehmen seinen Antrag auf Zahlung von mindestens der Hälfte seines Monatsgehalts während der Auszeit abgelehnt hat.

Er kündigte schliesslich. "Ich verstehe ja, dass die Firma derzeit nicht so flüssig ist", sagt der 25-Jährige. "Wir haben wegen des Coronavirus-Ausbruchs einige Dreharbeiten verschoben, und das hat sich enorm auf unsere Einnahmen ausgewirkt. Das ist die Realität."

Ausbleibende Aufträge führen zu Liquiditätsengpass

Xia ist einer von vielen, die wegen der Epidemie - durch die bereits fast 1870 Menschen starben und mehr als 72'000 infiziert wurden - inzwischen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Um den Ausbruch der neuartigen Krankheit einzudämmen, wurden strenge Reise- und Bewegungseinschränkungen erlassen. Viele Unternehmen sind geschlossen. Die Nachfrage und das Angebot an Waren und Dienstleistungen sind eingeschränkt.

Viele kleine Firmen wie Xias ehemaliger Arbeitgeber sehen sich aufgrund ausbleibender Aufträge mit einer Liquiditätskrise konfrontiert. Das wiederum zwingt sie, Mitarbeiter zu entlassen oder die Gehälter zu kürzen, um sich über Wasser zu halten. Und noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Epidemie ihren Höhepunkt schon erreicht hat.

Kleine und mittlere Unternehmen unter Druck

Jeder rasche Anstieg der Arbeitslosigkeit könnte eine zusätzliche grosse Herausforderung für Chinas stabilitätsbesessene Führung darstellen. Diese steht ohnehin unter Druck: Durch den Handelskonflikt mit den USA und der schwächeren Weltkonjunktur wuchs das Bruttoinlandsprodukt 2019 bereits so langsam wie seit rund drei Jahrzehnten nicht mehr.

34 Prozent von fast 1000 befragten kleinen und mittleren Unternehmen sagen, dass sie mit dem derzeitigen Cashflow nur einen Monat lang überleben könnten, wie eine kürzlich von der Tsinghua-Universität und der Universität Peking durchgeführte Umfrage ergab. Ein Drittel betonte, zwei Monate überleben zu können, 18 Prozent dürften drei Monate durchhalten.

Vergleichbar mit der Finanzkrise

"Es könnte grosse Entlassungen geben", warnt daher Wang Jun, Chefökonom der Zhongyuan Bank in Peking. "Ich denke, es ist angemessener, die gegenwärtigen Auswirkungen mit der globalen Finanzkrise zu vergleichen als mit denen von Sars", fügt er hinzu. Das schwere akute Atemwegssyndrom (Sars) war in den Jahren 2002 und 2003 ausgebrochen.

Während der globalen Finanzkrise 2008/2009 verloren etwa 20 Millionen chinesische Wanderarbeiter ihre Arbeit, da die Exporte einbrachen. Dies führte zu einem riesigen Konjunkturpaket der Regierung, das zwar das Wachstum schnell wieder ankurbelte, die Wirtschaft aber mit Schulden belastete. Die Zentralregierung in Peking sicherte bereits zu, Massenentlassungen zu verhindern.

Im zweiten Quartal droht eine Entlassungswelle

Neben den kleinen Herstellern, die ohnehin kaum rentabel waren, haben die Unternehmen im ausufernden Dienstleistungssektor Chinas - von Restaurants und Hotels bis hin zu Geschäften, Kinos und Reisebüros - die Hauptlast der aktuellen Krise zu tragen, sagen Wirtschaftswissenschaftler. "Die Beschäftigungssituation ist im ersten Quartal in Ordnung, aber wenn das Virus bis Ende März nicht eingedämmt ist, dann werden wir ab dem zweiten Quartal eine grosse Runde von Entlassungen erleben", betont Dan Wang, ein Analyst der Economist Intelligence Unit (EIU).

Er prognostiziert, dass bis zu 4,5 Millionen Jobs verloren gehen könnten. Bereits vor dem Ausbruch des Virus war die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die offizielle, auf Umfragen basierende Arbeitslosenquote lag im Dezember bei 5,2 Prozent. Im April 2018 waren es noch 4,9 Prozent gewesen. Als Grund für den Anstieg gilt der Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten.

Chinesische Wirtschaft bricht ein

Ökonomen haben ihre Prognosen für das Wachstum der chinesischen Wirtschaft im laufenden ersten Quartal gesenkt. Das Investmenthaus Nomura etwa erwartet, dass es sich auf etwa drei Prozent halbieren wird. Ende 2019 waren es noch sechs Prozent gewesen. Steigende Arbeitsplatzverluste könnten Einkommen und Konsum beeinträchtigen. Das wiederum würde die Chance auf eine deutliche Erholung der Wirtschaft verringern, sobald der Ausbruch eingedämmt ist, erläutern Ökonomen.

(Reuters)