Dieses Interview ist Teil des am 1. Juni 2018 erschienenen Anlegermagazins «VALUE» von cash. Sie können das Magazin als E-Paper lesen, als PDF herunterladen oder gratis als gedruckte Ausgabe bestellen.

 

cash VALUE: Herr Heri, Sie schreiben Bücher für Anleger und produzieren bei fintool.ch Erklärvideos zu Finanzthemen. Haben Sie eine Mission?

Erwin Heri*(Schüttelt den Kopf) Ich bin Professor und in diesem Sinn Lehrer, der den Leuten Sachen beibringen will. Vielleicht sollten Uniprofessoren generell ein bisschen mehr zu den Leuten oder in die Praxis gehen.  Des Weiteren  habe ich auch lange Jahre Berufserfahrung in der Finanzwelt und kann Theorie mit Praxis verbinden.

Ist das Finanzwissen der Schweizer schlechter als anderswo?

Schweizer wissen im Allgemeinen mehr über Finanzen als Leute in anderen Ländern. Dennoch ist das Wissen mangelhaft.  So fehlt oft die Einsicht, dass man sich für Anlagen und generell für Finanzen mehr  interessieren sollte. Unser Ziel ist es, dass die Leute die Selbstvorsorge ernster nehmen und sich weniger auf den Staat verlassen. Wenn man das richtig machen will, braucht es aber ein Minimum an Finanzwissen.

Der Aktienanteil in der Bevölkerung stagniert, Anleger machen immer die gleichen Fehler: Ist Ihre Mission nicht eine «Mission impossible»?

Das glaube ich nicht. Das Problem ist, dass Finanzthemen den Leuten oft nicht verständlich präsentiert werden. Vieles wird unglaublich verkompliziert. Und mit Komplexität lässt sich halt Geld verdienen. Nehmen Sie die Inserate von strukturierten Produkten. Das ist ein Witz. An der Uni lese ich den Studenten manchmal diese Inserate vor. Nur den Text. Schon dann bricht Gelächter aus.

Wenden sich die Leute auch von Finanzthemen ab, weil mit der Finanzkrise viel Vertrauen verspielt wurde?

Da muss man unterscheiden. Auf der einen Seite haben wir das Finanzsystem mit seinen Strukturen und den dort wirkenden Zusammenhängen. Von denen sollte man eine Ahnung haben. Die meisten dieser Zusammenhänge kann man den Leuten auch erklären. Auf der anderen Seite haben wir die im System eingebundenen Akteure, denen man vertrauen sollte, denn jedes Finanzsystem basiert auf Vertrauen. Hier hapert es aber.  Es ist tatsächlich sehr viel Vertrauen verloren gegangen.

Welches sind die ersten Schritte bei der Geldanlage?

Der erste Schritt ist die Analyse der Verpflichtungen und der künftigen Ansprüche. Nehmen wir an, Sie haben 100 000 Franken zur Verfügung. Zunächst erfolgt eine Auflistung der Liabilities, also Ihrer Verpflichtungen, Verbindlichkeiten oder Pläne. Soll zum Beispiel innert dreier Jahre eine neue Küche angeschafft werden, investieren Sie sicher nicht alles verfügbare Geld in Aktien. Oder Sie stellen mit 45 Jahren fest, dass bei der Pensionierung eine Rentenlücke von 50 000 Franken pro Jahr besteht. Da würde es Sinn machen, diese 100 000 Franken in ein hundertprozentiges Aktienvehikel zu investieren. «Zielorientierung der Geldanlage» ist das Stichwort.

Der Zyklus steigender Börsenkurse dauert seit neun Jahren, das ist überdurchschnittlich lange. Soll man jetzt noch gross Aktien kaufen?

Es kommt darauf an, welche Strategie Sie verfolgen oder welche Ansprüche Sie abdecken wollen. Je nachdem spielt der Zeitpunkt selber keine grosse Rolle. Den 30- bis 45-Jährigen sage ich immer: «Kauft Aktien zu einem jeweils fixen Betrag immer an einem festen Datum.» Dann kauft man über die Zeit einmal zu tiefen und einmal zu hohen Kursen und wird langfristig den durchschnittlichen Ertrag erwirtschaften. Gegen Ende des Anlagezeitraumes muss man dann etwas vorsichtiger werden, weil zu dem Zeitpunkt ein «Chlapf» an den Börsen überdurchschnittlich schmerzt.

Aktien sind nicht immer Selbstläufer: Ein Anleger, der im Jahr 2000 in der Schweiz Aktien kaufte, hatte zehn Jahre später keinen Wertzuwachs.

Dann hat der Anleger genau das nicht gemacht, was ich vorher sagte, nämlich konsequent über die Zeit investieren. Auch das ist eben Diversifikation. Ganz abgesehen davon war die Dekade von 2000 bis 2010, mit Ausnahme der Jahre 1929 bis 1939, die einzige Dekade in den letzten 100 Jahren, die am Schweizer Aktienmarkt eine Nullrunde produzierte.

Welche Anlagegrundsätze bei Aktien erhöhen die Chance auf einen langfristigen Wertzuwachs?

Den Anlagehorizont lange ansetzen, das Portfolio diversifizieren und die Dividenden reinvestieren. Letzteres macht leider fast niemand. Aber nur die reinvestierte Dividende produziert den Zinseszinseffekt, welcher die langfristige Zusatzrendite erwirtschaftet. Ganz wichtig ist aber auch, dass die Leute die Angst vor Aktien verlieren. Es herrscht eine wahnsinnige Anleger-Psychose aufgrund der kurzfristigen Börsenschwankungen. Einbrüche an den Aktienmärkten gab es immer. Aber sie wurden mit der Zeit alle wieder wettgemacht.  Nicht bloss Privatanleger, auch die meisten institutionellen Anleger haben ein Risikokonzept, das auf der kurzen Frist basiert. Das ist in aller Regel falsch und vernachlässigt viele Opportunitäten.

Sie blenden aus, dass Aktien riskant sind. Firmen können Pleite gehen, wie Swissair zeigte.

Einer der obigen Grundsätze war Diversifikation. Wer undiversifiziert in Einzeltitel investiert und damit Geld verliert, ist selber schuld.

Wie legen Sie persönlich Ihr Geld an?

Cash und Aktien. Manchmal «heue» ich allerdings auch ein bisschen rum. Ich halte Bitcoins. Ich habe dabei etwa gleich viel verloren, wie mein Sohn gewonnen hat. Er hatte seine Bitcoins auf meinen Rat hin nämlich verkauft (lacht).

Ein wenig Spekulation gehört also doch dazu...

Man muss auch ein wenig Spass haben. Meine Anlagen sind zu 90 Prozent fest, 10 Prozent sind auf einem Nebenkonto. Ich kann ja nicht ernsthaft über Geldanlagen dozieren und selber nichts machen. Man lernt Anlagen und Produkte erst dann richtig kennen, wenn man Geld verloren hat damit.

Soll man sich in Pensionskassen einkaufen?

Grundsätzlich finde ich den Zustand der Schweizer Pensionskassen gut. Der Einkauf in die Pensionskasse ist aus Ertrags- und Steuerüberlegungen sicher auch eine gute Sache. Es kommt allerdings auf die einzelne Pensionskasse an und was mit den Einkäufen passiert. Attraktiv sind Einkäufe, wenn im überobligatorischen Bereich sogenannte 1E-Programme erhältlich sind mit einem möglichst hohen Aktienanteil. In der Schweiz sollte man auch die 3. Säule stärker fördern. Das heisst, höhere Beträge zulassen und die Restriktionen auf den 3a-Produkten lockern. Diese Restriktionen gründen auf einem völlig falschen Risikokonzept.

Unterstützen Sie das Konzept einer freien Pensionskassenwahl?

Ja. Die Kosten bei den Pensionskassen müssen sowieso sinken. Wir haben in der Schweiz etwa 600 Pensionskassen. Zehn Kassen würden wohl reichen.

*Erwin Heri (64) betreibt mit sechs Partnern seit 2014 die Finanzvideo-Plattform Fintool. Daneben hat Heri einen Lehrauftrag für Finanztheorie an der Universität Basel. In der Finanzindustrie war er tätig als Anlagechef sowohl beim ehemaligen Bankverein wie auch bei Credit Suisse Financial Services. Bei der Versicherung Winterthur amtete Heri als Finanzchef und bei der Privatbank Valartis als Verwaltungsratspräsident.