cash: Herr Phelps, Wachstumsverlangsamung in China, fallende Aktienmärkte, geopolitische Krise: Ist das Wachstum der Weltwirtschaft bedroht?

Edmund Phelps: Es fällt auf, dass die Welt fast wie auf einen Schlag durch sehr viele Krisen getroffen wurde. Aber ich glaube nicht, dass die Investmenttätigkeiten, das Produktivitätswachstum und die Beschäftigungslage darunter leiden werden. Ich bin nicht gross besorgt und glaube auch nicht, dass wir auf eine Rezession zusteuern.

Die Börsen fallen, seit die US-Notenbank Mitte Dezember die Leitzinsen erhöht hat. Kein Zufall?

Der Rückschlag der Börsen ist nicht erstaunlich. Denn es gab eine Menge Leute, die davon ausgingen, dass die Fed die Zinsen nie erhöhen würde. Als die Fed dann zur Tat schritt, kam es zu tieferen Aktienkursen in den USA und auch in anderen Teilen der Welt. Ähnliches geschah meiner Meinung in China. Als das Land dort die Landeswährung Yuan abwertete, sagten alle: "Oh, das muss etwas schrecklich falsch laufen in Chinas Wirtschaft". Das fand ich eigenartig. Was ich damit sagen will: Die Märkte haben sich ganz offensichtlich zu schlecht angepasst und vorbereitet auf die neuen Gegebenheiten.

Hatten sich die Märkte zu fest an die Komfortzone des billiges Geldes gewohnt?

Vielleicht. Einige Leute in den Devisenmärkten waren jedenfalls der Meinung, dass die Zinsen 2015 und auch in diesem Jahr nicht erhöhen würden. Die Fed enttäuschte dann diese Leute.

Wird die Fed angesichts der fallenden Märkte von ihrem Zinsfahrplan nun abrücken und eine Pause einlegen?

Diese Möglichkeit bestand ja schon vor dem Zinsschritt Mitte Dezember. Die fallenden Märkte und die Anpassungen bei den Währungen können die Fed tatsächlich jetzt dazu verleiten, bei den Zinserhöhungen etwas langsamer voranzuschreiten.

Haben die Märkte in den letzten Wochen überreagiert?

Das ist sicher eine Überreaktion, wobei sich der US-Markt nach der Zinserhöhung ja auch wieder etwas erholt hatte. Aber schauen Sie: Als der Standard & Poor's Index bei 2150 Punkten war, dachte ich: Das ist doch verrückt! Wir leben in einem Umfeld von langsamen Wachstum, und es gibt keinen Trend von steil anwachsenden Unternehmensgewinnen. Es gab also keine wirkliche Grundlage für solch hohe Aktienkurse. Ich fühle mich sehr komfortabel, wenn der Index bei 1850 oder 1900 Punkten liegt (Anm. der Red.: derzeit bei 1906 Punkten).

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Prof. Edmund Phelps (rechts) im Gespräch mit cash-Chefredaktor Daniel Hügli (links) letzte Woche am WEF in Davos. (Foto: Viviana Phelps)

Reden wir von Europa: Wie schätzen Sie hier die wirtschaftliche Lage ein?

Es ist einfach traurig, sehr traurig, was da passiert. Es gibt schlicht keine wirtschaftliche Dynamik. Es fehlt an Investitionstätigkeit, die Beschäftigungszahlen bleiben tief. Die Jobs sind nicht sehr einträglich und attraktiv. Viele Leute einer ganzen Generation werden keine Genugtuung erhalten über ihr Berufsleben und ihre Karriere. Das ist fast wie eine verlorene Generation.

Was hat das für gesellschaftliche und politische Konsequenzen?

Die Leute fordern in diesen Situationen Steuererleichterungen, ohne dass sie natürlich wirklich wissen, wie das finanziert werden soll. Auf politischer Seite kann man die Folgen dieses Drucks ja auch in den USA beobachten: Dort sehen wir einen Aufschrei der Verzweiflung und des Frustes der Mittelklasse, die ihre Hoffnungen und Bestrebungen nicht erfüllt sehen. Sie sind gefangen in Jobs, die nicht sehr spannend sind, aber dennoch anspruchsvoll. Das hat zur Folge, dass die USA sehr gefährdet sind für eine populistische Führung.

Die Verbindung zu Europa wäre damit gemacht...

Viele populistische Parteien in Europa sind im Aufwind, Le Pen in Frankreich machte ja so etwas wie den Anfang. Auch in Deutschland sind die konservativen Parteinen im Vormarsch.

Hat das auch tiefer liegende wirtschaftliche Gründe?

Unsere Regierungen im Westen haben immer geglaubt, das Produktivitätswachstum falle vom Himmel. Aber schauen Sie: Die westliche Welt hat es verpasst, auf Innovationen zu schauen, auf das Wachstum, auf Entdeckungen und auf die Befriedigung, neue Dinge einzuführen. Dafür hätte man auch Opfer bringen müssen. Aber ich sehe heute keine Freude, unbekannte Territorien zu erobern und innovative Dinge zu erschaffen. Dabei bringen Phasen der Innovation immer auch mehr Beschäftigung, auch der Wohlstand kann dann neu verteilt werden. Die westlichen Volkswirtschaften, vor allem diejenigen in Europa, haben sich derart gehen lassen, dass sie zwar nicht gerade kollabieren. Aber sie stagnieren einfach. 

Edmund Phelps, geboren 1933 und Direktor des "Center on Capitalism and Society" an der Columbia University in New York, erhielt 2006 den Nobelpreis für Ökonomie für seine Analyse "intertemporaler Zielkonflikte in der makroökonomischen Politik". Er hatte mit dem Ökonom Milton Friedman gezeigt, dass eine geringere Arbeitslosigkeit durch höhere Inflation nur so lange erkauft werden kann, als sich noch keine Inflationserwartungen gebildet haben.

Sein letztes Buch trägt den Namen "Mass Flourishing". Phelps ist verheiratet mit der Argentinierin Viviana Phelps.