Die Ziele des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes, Schulden bei maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen und Defizite unter 3 Prozent zu halten, bleiben grundsätzlich bestehen. Allerdings soll es vor allem für das Erreichen des 60-Prozent-Ziels keine einheitlichen Vorgaben mehr geben. "Es ist nicht die Frage, ob Schulden in Richtung 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts reduziert werden, sondern vielmehr, wie jedes Land dort hinkommt und vor allem, wie schnell", sagte Dombrovskis. Sein Kollege Paolo Gentiloni sagte, man könne nicht ignorieren, dass die Schulden in den Ländern unterschiedlich hoch seien.

Zur Zeit sind die Regeln bis 2024 ausgesetzt. Normalerweise müssen Staaten 5 Prozent der Schulden, die über der 60-Prozent-Marke liegen, pro Jahr zurückzahlen - für hoch verschuldete Länder wie Italien oder Griechenland wäre das für das Wachstum verheerend. Doch auch vor der Pandemie wurde das komplizierte Regelwerk oft missachtet - auch von Deutschland. "Fast jeder Mitgliedstaat hat die Regeln irgendwann einmal gebrochen", sagte Dombrovskis. Ziel der Reform sei es, sie wieder durchsetzbar zu machen, sagte Gentiloni.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte in Berlin, die Vorschläge seien "diskussionswürdig". Gleichzeitig äusserte er sich zu den Einzellösungen für Staaten kritisch. "Eine einheitliche Währungsunion braucht auch einheitliche Fiskalregeln." Deshalb könne es nicht eine einseitige Lockerung von Regeln oder Schaffung zusätzlicher Bewertungsspielräume geben, sagte Lindner. Die Bundesregierung werde sich die Vorschläge nun genauer ansehen und im Kreis der EU-Staaten diskutieren.

Konkret schlägt die EU-Kommission vor, dass die EU-Länder Pläne vorlegen, wie sie ihre Finanzen verbessern wollen. Diese müssten von der EU-Kommission und den anderen Ländern gebilligt werden. Staaten mit hohen Schulden hätten dann vier Jahre lang Zeit, ihre Schulden glaubwürdig zu senken und das Defizitziel zu erreichen - Staaten mit niedrigeren Schulden wären flexibler. Eine konkrete Frist für das 60-Prozent-Ziel ist nicht vorgesehen. "Länder mit erheblicher Staatsverschuldung müssten ihre Schulden trotzdem schneller abbauen als Länder mit weniger dringenden Problemen", stellt Dombrovskis klar.

Die Pläne sollen sich am Bedarf für Investitionen - etwa in den Klimaschutz - orientieren und teils an Reformen gebunden sein. Muss ein Land besonderen viel investieren, kann es bis zu sieben Jahre Zeit bekommen. "Je mehr Reformen und Investitionen vorgeschlagen werden, desto mehr Schritte kann es für den Schuldenabbau geben", sagte Gentiloni. Man habe gesehen, dass man mit der Sparpolitik nach der Finanzkrise nicht das erforderliche Niveau an Investitionen habe halten können. "Das ist etwas, das wir ändern müssen", sagte er besonders mit Blick auf das für die Energiewende benötigte Geld.

Die EU-Kommission will die Regeln aber auch strenger durchsetzen. So sollen die in den Plänen festgelegten Investitionsprojekte und Reformen überwacht und Verstösse härter bestraft werden - etwa wenn Staaten ihre Schulden oder ihr Defizit nicht wie geplant reduzieren. Dafür sollem öfter Geldbussen verhängt werden können. Im Ernstfall könnten EU-Gelder gestrichen werden.

Bei den Vorschlägen handelt es sich bislang nur um ein Diskussionspapier. Zunächst sollen die Finanzminister im Dezember die Vorschläge besprechen. Findet das Papier Zuspruch, könnte die Kommission im ersten Quartal nächsten Jahres einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Ob ein Konsens entstehen kann, ist jedoch noch unklar - auch angesichts der kritischen Position Deutschlands./dub/DP/he

(AWP)