"Ich glaube, dass die Massnahmen zielgerichtet genug sind, um die Viruspandemie wieder beherrschbar zu machen, ohne dass gleichzeitig die Wirtschaft komplett zusammenbricht", sagt Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP.

Die am Mittwoch kommunizierten Massnahmen des Bundesrates seien ein guter Zwischenweg, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und den angeschlagenen Branchen dennoch eine Zukunftsperspektive zu bieten, bestätigt auch Urs Gauch, Leiter der Abteilung Firmenkunden & Niederlassungen bei Raiffeisen Schweiz.

"Insgesamt sind die Einschnitte nicht so dramatisch ausgefallen, wie man das zum Teil im Vorfeld diskutiert hat", sagt Martin Eichler, Chefökonom von BAK Economics. Vor allem die Öffnung der Grenzen sei zu begrüssen, wie Eichler erklärt: "Die Restriktionen im internationalen Reiseverkehr haben - zumindest zuletzt - wenig gebracht und waren kaum noch verständlich. Gleichzeitig stellten sie für die exportorientierte Schweiz eine grosse Herausforderung dar."

Dass der Bundesrat bei Reisen jetzt wieder weniger restriktiv vorgehe, könne er gut nachvollziehen. Dieser Schritt bringe einen grossen Nutzen im Verhältnis zum geringen Risiko, das man damit eingehe. Ohne die Massnahmen dürfte der Schaden für die Wirtschaft langfristig gesehen grösser sein, sind sich die Experten einig.

Betroffene Betriebe mit wenig gesamtwirtschaftlichem Einfluss

Zwar seien die Veranstaltungsbranche, der Tourismus und die Gastronomie erneut stark von den Einschnitten betroffen, diese Bereiche spielten aber für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Schweiz keine so entscheidende Rolle, sagt Eichler.

"Die Hotellerie und das Gastgewerbe machen etwa drei Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung aus." Die Club- und Eventbranche sei statistisch weniger gut abzugrenzen, sie dürfte aber kaum mehr als ein Prozent beitragen. Es handelt sich also um kleine Bereiche. "Allerdings sind in diesen arbeitsintensiven Bereichen vergleichsweise viele Personen beschäftigt. Wichtig sind hier daher die Instrumente wie die Kurzarbeit, welche ja bereits entsprechend erweitert wurde", so Eichler.

Auch Junius schätzt es als "vollkommen angemessen" ein, Einschränkungen zu erlassen, wo die Ansteckungsgefahr hoch ist. "Wir wollten keinen flächendeckenden Lockdown haben, der an vielen Stellen gar nichts genutzt hätte." Stattdessen habe die Wirtschaft auf einen zielgerichteten Lockdown gehofft. "Und den haben wir jetzt bekommen. Aber darunter leiden natürlich gewisse Branchen mehr als andere", so Junius.

Urs Gauch betont zwar, wie stark die Massnahmen erneut die Event- und Gastrobranche treffen. "Dennoch sind sie weitaus wirtschaftsfreundlicher als die Entscheide von heute in Deutschland, wo diese Bereiche einem partiellen Shutdown gegenüberstehen", sagte er.

Mittelfristig keine Insolvenzwelle zu erwarten

Es sei zwar laut Junius mit ansteigenden Geschäftsaufgaben zu rechnen. "Und wir müssen auch damit rechnen, dass manche Arbeitsplätze keine Perspektive mehr haben." Aber dieser Entwicklung werde durch die Massnahmen des Staates auch ein Gegengewicht gegeben.

Auch Gauch rechnet kaum mit einer Insolvenzwelle, wie er sagt: "En gros sind die Schweizer Unternehmen nämlich gut aufgestellt." Das zeige sich auch daran, dass mehr als 80 Prozent der Unternehmen, die während der ersten Welle einen Covid-Hilfskredit aufgenommen haben, zuvor noch nie finanzielle Hilfe in Form eines Kredits bezogen hätten.

Die Restrukturierungsmassnahmen, also die Anpassung der Kapazität an die aktuelle Nachfrage, dürfte laut Gauch allerdings weitergehen. "Dies würde zu weiterhin hohen Kurzarbeitsentschädigungen und mittelfristig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen."

Auch dürfte der erwartete Konjunktureinbruch für das laufende Jahr und die unsicheren Aussichten laut Gauch zu Insolvenzen führen, sofern sich die Wirtschaft nicht nachhaltig erholt. Das dürfte sich auch auf Banken auswirken, die mit Kreditausfällen rechnen müssen. "Wir gehen aber davon aus, dass gerade die Ausfälle für die stark hypothekargesicherten Kredite der Inlandbanken im Rahmen bleiben werden", so Gauch.

Gut vorbereitet

Die Experten pflichten Bundesrat Guy Parmelin bei, der an der Medienkonferenz betonte, man sei jetzt viel besser vorbereitet als bei der ersten Welle.

Eichler merkt jedoch an, man sollte nun laut seiner Einschätzung deutlich mehr Wert auf Massnahmen mit vorbeugendem Charakter legen, wie dem Testen und der Rückverfolgbarkeit von Ansteckungen, zum Beispiel auch durch die Covid-App. "Die Zulassung der Schnelltest ist ein guter Schritt, aber es dürfte sich lohnen, noch mehr investieren." Dies sei kostspielig, aber es lohne sich: "Wenn es damit gelingt, die zweite Welle auch nur etwas früher zu brechen oder aber noch strengere Einschränkungen der Wirtschaft zu verhindern, macht sich das allemal schon bezahlt - vom gesellschaftlichen und gesundheitlichen Nutzen ganz zu schweigen", sagt er.

tv/cf

(AWP)