EZB-Chefökonom Philip Lane sagte am Samstag dem irischen Sender RTE, er gehe davon aus, dass auch in den kommenden Zinssitzungen der EZB in diesem und zu Beginn des nächsten Jahres die Phase noch nicht vorbei sei, in der die Zinssätze auf ein normales Niveau angehoben werden müssten. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sagte, die EZB sei noch weit von dem Zinsniveau entfernt, mit dem die Wirtschaft weder angeschoben noch gebremst werde. Für ihn sei wichtig, dass es zu weiteren Anhebungen komme. "Da muss noch was passieren, da muss noch was nach oben gehen." Wenn das Inflationsbild so bleibe wie es jetzt ist, und das zeichne sich ab, "dann wird mit weiteren Zinsschritten zu rechnen sein".

Die EZB hatte im Kampf gegen die ausufernde Inflation im Juli die Zinswende eingeleitet und dabei die Schlüsselsätze erstmals seit 2011 nach oben gesetzt. Die Leitzinsen wurden um 0,50 Prozentpunkte angehoben. Bei ihrem zweiten Zinsschritt am Donnerstag vor einer Woche legten die Währungshüter mit einer Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte noch deutlicher nach. Der Leitzins liegt damit inzwischen bei 1,25 Prozent und der sogenannte Einlagensatz bei 0,75 Prozent.

Lane sagte, der Einlagensatz sei immer noch zu niedrig, um die Wirtschaft zu stimulieren. Daher sei die Aufgabe der EZB noch nicht erledigt. Zu den Zinsanhebungen allgemein erklärte er, man glaube, dass dies die Nachfrage dämpfen werde. "Und wir werden nicht so tun, als ob dies schmerzfrei wäre." Die Wirtschaft der Eurozone werde in den Wintermonaten wohl stagnieren. Eine Rezession könne angesichts hoher Energiepreise und einer Erdgas-Verknappung nicht ausgeschlossen werden.

Nagel sagte auf dem Tag der offenen Tür der deutschen Notenbank in Frankfurt, die Inflation habe sich schon in fast alle Lebensbereiche hineingefressen. "Wir sind noch sehr weit weg mit den Zinsen, wo die Zinsen dann zu der Inflationsrate passen, die wir anstreben werden." Die EZB peilt zwei Prozent Teuerung als Idealwert für die Wirtschaft an, im August lag sie im Euro-Raum aber bei 9,1 Prozent. "Die Inflation hat immer eine soziale Dimension, deshalb ist sie auch so gefährlich", sagte Nagel. Sie sei gefährlich für die Wettbewerbsfähigkeit und die Wachstumsperspektiven. Eine schnelle Lösung könne aber nicht versprochen werden.

Für Deutschland rechnet Nagel mit weiter steigenden Preisen: "Wir sehen bei der Bundesbank möglicherweise den Höhepunkt der Inflation im Dezember, zum Jahresende, möglicherweise dann auch mit Inflationsraten im zweistelligen Bereich." Das sei zuletzt im vierten Quartal 1951 der Fall gewesen. Das zeige die Dimension, mit der es die Notenbank zu tun habe. Es könne sein, dass es zu einer wirtschaftlichen Abschwächung komme, wenn man mit höheren Zinsen gegensteuern müsse. Nagel geht aber nicht von einer scharfen Rezession in Deutschland aus: "Eine harsche, eine harte Rezession sehe ich für Deutschland aus heutiger Sicht nicht."

(Reuters)