Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres kamen 19'000 Asylsuchende in Spanien an - fast so viele wie im gesamten Jahr 2017 und erstmals mehr als in Italien. In den vergangenen Wochen stieg ihre Zahl weiter, nachdem die neue italienische Regierung die Häfen des Landes für Rettungsschiffe gesperrt hatte. Der Chef der EU-Grenzagentur Frontex Fabrice Leggeri sagte, die Hauptroute für afrikanische Migranten nach Europa könnte sich nach Spanien verschieben. Der Umweg über die iberische Halbinsel sorgt in Brüssel für Kopfzerbrechen. "Wir dürfen das nicht hochgehen lassen", sagte ein EU-Diplomat.

Spaniens neuer sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sanchez hat zwei Rettungsschiffe mit Flüchtlingen an Bord aufgenommen, die zuvor in mehreren anderen EU-Mittelmeeranrainern abgewiesen worden waren. Zugleich kommen immer mehr Menschen mit Schlauchbooten von Marokko aus.

Die Schleuser kontaktierten über Menschenrechtler die Küstenwache, wenn ein Boot auf die Reise geschickt wird, sagte Küstenwachen-Mitarbeiter Oriol Estrada, dessen Schiff seit Jahresanfang 1200 Menschen aus Seenot gerettet hat. "Diese Menschenschmuggler wissen, dass die Rettungskräfte zu ihnen kommen." Ähnlich hatte es vor der libyschen Küste ausgesehen - die regierende rechtsextreme Lega warf deswegen Seenotrettern vor, einen "Taxi-Dienst" zu betreiben.

Flüchtlinge berichten, der Weg über Libyen und Italien sei inzwischen zu gefährlich. "In Libyen habe ich gesehen, wie mit scharfer Munition auf Migranten geschossen wurde. Ein Freund wurde vor meinen Augen von einem Teenager getötet", sagte Oumar Dialo aus Guinea, der zuerst über Italien versucht hat, nach Europa zu kommen, bevor er nach Marokko weitergereist ist. "Ich würde nicht einmal meinem Feind Libyen empfehlen."

Marokko selbst ist zwar für viele Menschen aus Ländern südlich der Sahara ein Ziel, die auf der Flucht vor Armut und Gewalt sind. Doch noch mehr sehen es als Sprungbrett nach Europa. Dialo sagte, er habe versucht, über den Grenzzaun zur spanischen Enklave Ceuta zu klettern, habe sich bei einem Sturz aber ein Bein gebrochen. Wenn die Zeit reif ist, werde er noch einmal versuchen, nach Spanien zu kommen und seinen Lebenstraum zu erfüllen: "Ich will nach Europa, weil ich meiner Familie helfen und ein professioneller Skater werden will."

Vergangene Woche sagten EU-Spitzenpolitiker Marokko und Spanien ihre Unterstützung zu. Auch Spanien tritt dafür ein, einheitliche Regeln in Europa zu finden, wie ein Regierungssprecher sagte. Denn im Land selbst sind erste Anzeichen zu erkennen, dass Sanchez unter Druck geraten könnte, wenn die Zahl der Bootsflüchtlinge weiter steigt. Fernando Maura, außenpolitischer Sprecher der Mitte-Rechts-Oppositionspartei Ciudadanos sagte, die Politik des Regierungschefs könnte Migranten anziehen. "Wenn man ein derartiges Signal sendet, könnte es bei denen entsprechend aufgenommen werden, die nach Europa kommen wollen."

(Reuters)