Die Europäische Zentralbank (EZB) wird sich nicht dazu drängen lassen, ihre geldpolitischen Stimuli überstürzt zurückzunehmen, um die Inflation einzudämmen, die fast viermal so hoch ist wie ihr eigenes Ziel von 2 Prozent. Das erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Dienstag in einem Interview mit Bloomberg TV.

"Ich glaube nicht, dass wir uns im Moment in einer Situation steigender Nachfrage befinden", sagte sie am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos im Gespräch mit Francine Lacqua. "Es handelt sich definitiv um Inflation, die durch die Angebotsseite angeheizt wird. In dieser Situation müssen wir uns natürlich in die richtige Richtung bewegen, aber wir dürfen nichts überstürzen und nicht in Panik geraten."

Lagarde äusserte sich einen Tag, nachdem sie in einem Blogbeitrag ihren Zeitplan für die nächsten Schritte der Zentralbank dargelegt hatte. Der Ausstieg aus den Negativzinsen werde wahrscheinlich Ende des dritten Quartals erfolgen, eine erste Zinserhöhung sei für Juli geplant.

Verärgerung der EZB-Falken

Der Plan für zwei Zinserhöhungen um je einen Viertelpunkt im dritten Quartal hat informierten Kreisen zufolge die Falken im Rat verärgert, weil dies eine Anhebung um 50 Basispunkte effektiv ausschliessen würde. 

Einige Ratsmitglieder, darunter der französische Gouverneur Francois Villeroy de Galhau, haben angedeutet, dass die EZB das Jahr mit positiven Zinssätzen beenden könnte. In einem weiteren Bloomberg-Interview sagte Villeroy am Dienstag, ein Zinsschritt um ein Halbprozent sei derzeit kein Konsens im Rat.

"Wenn man aus dem negativen Bereich heraus ist, kann man bei Null sein, man kann leicht über Null sein," sagte Lagarde. "Das werden wir auf der Grundlage unserer Projektionen, auf der Grundlage unserer Forward Guidance bestimmen."

Lagarde wollte sich im Interview nicht dazu äussern, ob sie eine Erhöhung um 50 Basispunkte in Betracht ziehen würde. Händler rechnen mit vier Zinserhöhungen um 25 Basispunkte bis Ende 2022.

Schmaler Grat für politische Entscheidungsträger

Die politischen Entscheidungsträger bewegen sich auf einem schmalen Grat, da der Einmarsch Russlands in der Ukraine die Preise in die Höhe schnellen liess und das Vertrauen der Unternehmen und Haushalte erschütterte. Neue Covid-Beschränkungen in China belasten die Lieferketten zusätzlich.

Die EZB-Präsidentin spielte jedoch das Risiko eines wirtschaftlichen Abschwungs herunter und sagte, das sei derzeit nicht das "Basisszenario" der Währungshüter. Die Arbeitslosigkeit sei auf einem Tiefststand, der Sommertourismus werde stark, und die Haushalte hätten reichlich Erspartes: "Im Moment sehen wir keine Rezession im Euroraum."

Der Euro reagierte auf Lagardes Äusserungen mit einem Kurssprung, der frühere Verluste gegenüber dem Dollar wieder wettmachte und einen Ein-Monats-Höchststand von 1,0736 Dollar erreichte. Auch gegenüber dem Franken und dem Pfund erholte sich die Gemeinschaftswährung.

(Bloomberg)