Auf die heikle Frage nach einer Anerkennung der Taliban in Afghanistan hat der Präsident des Islam Policy Rearch Instituts (IPRI) in Islamabad eine kurze Antwort: "Man sollte nicht zulange warten", sagt Raashid Wali Janjua. "Denn was ist das für eine Botschaft, wenn sie das Richtige sagen und wir trotzdem nicht helfen?", fügt er mit Hinweis darauf hinzu, dass die radikalislamischen Taliban etliche mässigende Äusserungen gemacht und auf einen systematischen Rachefeldzug an Andersdenkenden bisher verzichtet hätten.

Mit den Worten "Können wir den Taliban trauen? Schauen wir", warb auch der pakistanische Aussenminister Shah Mehmood Quereshi beim Besuch seines deutschen Amtskollegen Heiko Maas um einen Vertrauensvorschuss für die neuen Herrscher im Nachbarland Afghanistan.

Keine Anerkennung von Machthabern in Mali und Myanmar

Doch den Westen stellt dies nach dem plötzlichen Ende des 20-jährigen Engagements vor eine bittere Wahl: Soll er nun die neuen Machtverhältnisse anerkennen - wenn ja, in welcher Form? Legitimiert dies nicht den gewaltsamen Absturz und den - wie viele fürchten - Rückfall des Landes ins Mittelalter?

In Myanmar oder in Mali hatten die Europäer die neuen Machthaber nach Militärputschen auch nicht anerkannt. Aber riskieren Staaten nicht andererseits, nach milliardenschweren Hilfen auch noch die Errungenschaften für die afghanische Bevölkerung aufs Spiel zu setzen, wenn sie jetzt etwa die Entwicklungszusammenarbeit endgültig beenden, fragt Saman Zaidi, Experte des Jinnah-Instituts in Islamabad. "Sie sind der Teufel, den wir kennen", nennt er als Argument dafür, dass man mit den Taliban reden müsse.

In Kürze wollen die Taliban in Kabul ihre Regierung vorstellen und Minister ernennen. Spätestens dann sind Deutschland und andere Staaten unter Zugzwang, hier eine Richtungsentscheidung zu treffen.

Was heisst Anerkennung überhaupt?

Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass man ohnehin völkerrechtlich nur Staaten und nicht Regierungen anerkenne. Nur löst dieser Hinweis das Problem nicht. Im Falle Afghanistans geht die westliche Gemeinschaft derzeit immer noch davon aus, dass die bisherige und gewählte afghanische Regierung legitimierte Vertretung des Landes ist.

Nur hat sich der Präsident ins Ausland abgesetzt, die Taliban kontrollieren auch die Hauptstadt Kabul. Und Deutschland führt über die Taliban-Vertreter in Doha längst informelle Gespräche über logistische Fragen wie die Evakuierung von Deutschen oder Ortskräften. Auch Kanzlerin Angela Merkel räumte ein, dass die Herrschaft durch die Taliban ein Fakt sei, an dem man nicht vorbeikomme.

Ungeklärt ist ohne eine Anerkennung der Regierung, was eigentlich mit den afghanischen Botschaften weltweit und auch in Berlin passiert - ebenso wie mit den Reserven der afghanischen Zentralbank in Milliardenhöhe verfahren wird, die in den USA lagern. Ohne eine Anerkennung der Taliban als rechtmässige Vertretung des Landes ist kaum vorstellbar, dass sie Kontrolle über die Botschaften oder die Währungsreserven erlangen. In Deutschland etwa ist der bisherige Botschafter akkreditiert. Ein Taliban-Vertreter müsste sein sogenanntes Agreement erst vom Bundespräsidenten ausgestellt bekommen - ohne eine Anerkennung der Taliban als Regierungsmacht dürfte dies nicht gehen. Der slowenische Aussenminister Anze Logar sagte aber am Donnerstag, man sei von einer Anerkennung noch weit entfernt.

Voraussetzung für Hilfe

Zwar zeigt die derzeitige Situation, dass man auch unterhalb der formalen Ebene Wege findet, mit den neuen Machthabern zu sprechen. "Dies stösst aber an enge Grenzen", räumt ein EU-Diplomat ein. Wenn die Taliban jetzt eine Regierung und einen Aussenminister ernennen, könnten sie etwa einfordern, dass Aussenminister Heiko Maas mit diesem spricht - statt Gespräche weiter über die Taliban-Vertreter in Doha zu führen. Spätestens dann müsste die Bundesregierung entscheiden, was sie tut.

Ein Problem besteht etwa bei der Entwicklungshilfe. Zwar will die Bundesregierung 100 Millionen Euro an zugesagter humanitärer Hilfe über die internationalen Hilfsorganisationen abwickeln, die im Land geblieben sind. Aber für die viel umfassendere Entwicklungshilfe sieht dies anders aus. Auch hier steht die Bundesregierung vor einem Dilemma: Einerseits hat Aussenminister Maas in den vergangenen Tagen klar gemacht, dass es eine Anerkennung und Entwicklungshilfe nur gibt, wenn sich die Taliban an grundlegende Menschenrechte hielten, Sicherheitsgarantien gäben und eine inklusive Regierung bildeten.

Andererseits mahnten die Nachbarstaaten, die Maas besuchte, schnelle finanzielle Hilfen für Afghanistan an, weil man einen Kollaps des Landes um jeden Preis verhindern wolle. Grosse Flüchtlingsbewegungen würden die ganze Region destabilisieren, ist die Befürchtung. Also sollten die 500 Millionen Euro-Hilfe, die Deutschland für die Region angeboten hat, vor allem in Afghanistan selbst ausgegeben werden statt sie für Flüchtlingslager im Ausland zu verwenden, fordert man in der Region. Ohne eine formalisierte Zusammenarbeit mit den Taliban ist dies aber ebenso wenig denkbar wie die Fortführung von Entwicklungsprojekten für die afghanische Bevölkerung. 

(Reuters/cash)