"Die Demokratie hat sich durchgesetzt", sagte Biden bei seiner Antrittsrede. Er appellierte an den Zusammenhalt der Amerikaner, nur so liessen sich Frieden und Fortschritt erreichen. Vor ihm wurde Kamala Harris als Vizepräsidentin vereidigt. Anders als in früheren Jahren fand die Zeremonie wegen der Corona-Pandemie nicht vor einem Massenpublikum statt, sondern in deutlich kleinerem Rahmen. Aus Sorge vor gewaltsamen Ausschreitungen galten besonders strikte Sicherheitsvorschriften. Vor zwei Wochen hatten wütende Anhänger des bisherigen Präsidenten Donald Trump das Kapitol gestürmt.

Biden ist der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit 78 Jahren ist er zugleich der älteste US-Präsident aller Zeiten. Der Stellvertreterposten geht mit Harris erstmals an eine Frau und an eine Schwarze.

Gräben vertiefen sich

Mit einem eindringlichen Appell hat der frisch vereidigte US-Präsident die Amerikaner zum Zusammenhalt in Krisenzeiten und zur Versöhnung aufgerufen. Nur so ließen sich die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie, Rassismus und soziale Ungleichheit überwinden, sagte der 78-Jährige in seiner Antrittsrede am Mittwoch vor dem Kapitol in Washington. "Ohne Einheit gibt es keinen Frieden, nur Verbitterung und Rage. Kein Fortschritt, nur erschöpfende Empörung. Keine Nation, nur Chaos." Das gegenseitige Anfeinden müsse aufhören. "Dies ist unser historischer Augenblick der Krise und Herausforderung. Und Einheit ist unser Pfad nach vorne."

Nach vier turbulenten Jahren unter Bidens Vorgänger Donald Trump ist die amerikanische Gesellschaft so gespalten wie selten zuvor. Besonders in den zweieinhalb Monaten seit der Präsidentenwahl haben sich die Gräben noch einmal vertieft. Trump behauptete unzählige Male, dass bei der Wahl betrogen worden sei. Belege lieferte er dafür keine, doch schürte er so die Wut seiner Anhänger. Vor zwei Wochen stürmten diese das Kapitol, als die Kongressmitglieder dabei waren, Bidens Wahlsieg zu bestätigen. Fünf Menschen starben.

Ein "gewalttätiger Mob" habe versucht, den Willen des Volkes zum Schweigen zu bringen, erklärte Biden. Das sei nicht gelungen. Demokratie und Wahrheit hätten sich durchgesetzt. Bewusst schlug der neue Präsident dabei einen deutlich anderen Ton an als Trump, der zum Auftakt seiner Präsidentschaft in einer düsteren Rede dazu aufgerufen hatte, das "amerikanische Gemetzel" zu beenden. Biden streckte die Hand dagegen betont auch denen entgegen, die ihn nicht gewählt haben. "Politik muss nicht ein rasendes Feuer sein, das alles in seinem Weg zerstört. Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Anlass für einen totalen Krieg sein."

Kampf gegen die Pandemie

In der Corona-Pandemie stehe die vielleicht "härteste und tödlichste" Phase an, warnte Biden. Die Krise müsse endlich "als eine Nation" angegangen werden. Dem Ausland sicherte Biden zu, "Allianzen zu reparieren". Die USA würden sich der Welt wieder zuwenden.

Trump weigerte sich bis zuletzt, seine Niederlage anzuerkennen, und behauptete stattdessen unzählige Male, bei der Abstimmung sei betrogen worden. Beweise lieferte er keine. Mehrere Anfechtungsversuche vor Gericht scheiterten. Dennoch sind viele Trump-Anhänger überzeugt, dass die Wahl "gestohlen" wurde. Ihre Wut entlud sich am 6. Januar bei den Ausschreitungen im und rund um das Kapitol. Fünf Menschen starben. Das FBI warnte im Vorfeld der Vereidigung Bidens vor weiteren Angriffen.

Wegen der angespannten Lage wurden allein Zehntausende Nationalgardisten nach Washington beordert, um bei der Absicherung der Amtseinführung zu helfen. Das Kapitol wurde weiträumig abgesperrt. Statt Hunderttausender Zuschauer, die normalerweise zu Vereidigungen von Präsidenten kommen, säumten die Parkfläche vor dem Parlament dieses Jahr stellvertretend fast 200'000 US-Fahnen. Fernsehsender im In- und Ausland übertrugen die Vereidigung live.

Trump spricht von Rückkehr - «In irgendeiner Form»

Beratern zufolge will Biden unmittelbar nach seinem Amtsantritt mit der Arbeit beginnen und mindestens 15 Erlasse und Anordnungen unterzeichnen, die zum Teil Beschlüsse seines Vorgängers rückgängig machen sollen. Sie betreffen die Virus- und Rassismusbekämpfung, die Wirtschaft und die Klimapolitik. So sollen etwa die Weichen gestellt werden für eine Rückkehr der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen, aus dem das Land unter Trump ausgetreten war.

Trump kündigte in einer kurzen Abschiedsrede auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews an, er werde das Geschehen weiter verfolgen. Biden erwähnte er erneut namentlich nicht, wünschte der neuen Regierung aber Glück. Er denke, dass sie erfolgreich sein werde, da seine Administration dafür das Fundament gelegt habe. Seinen Anhängern versicherte Trump, immer für sie da zu sein. "Wir lieben euch. Wir werden wiederkehren - in irgendeiner Form." Anschliessend machte er sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Melania an Bord der Präsidenten-Maschine Air Force One auf den Weg nach Florida, wo er ein Luxusanwesen besitzt.

(Reuters)