Grossbritanniens Regierung hat sich angesehen, wie die britische Insel Jersey – deren Gesetzgebung und Justiz noch immer unabhängig vom Vereinigten Königreich sind – die Migration steuert. Das erfuhr Bloomberg von lokalen Amtspersonen, die sich mit Vertretern von Premierministerin Theresa May getroffen haben.

"Als wir das System beschrieben, das wir hier haben, schien das Widerhall zu finden", sagt David Walwyn, Direktor des Ministeriums von Jersey für Aussenbeziehungen, in einem Interview mit Bloomberg. "Es hat den richtigen Ton getroffen."

Die Kanalinsel Jersey, die nicht Teil der Europäischen Union ist, gewährt den Staatsbürgern der EU-Mitgliedsländer Freizügigkeit, sie steuert aber die Zuwanderung durch Begrenzung der Verfügbarkeit von Arbeit, Unterkünften und Sozialleistungen für Neuankömmlinge. Ihre 228 Milliarden Pfund (288 Milliarden Franken) schwere Fondsbranche geniesst Zugang zum EU-Markt, und die Insel selbst liegt nur 31 Kilometer von der französischen Küste entfernt.

Pragmatische Einwanderungspolitik

May könnte sich vom Ansatz der Insel inspirieren lassen, wenn sie die Verhandlungsposition ihres Landes vor dem Austritt aus der EU vorbereitet. Sie hatte angekündigt, strengere Kontrollen bei der Einwanderung umsetzen zu wollen, während sie gleichzeitig den grösstmöglichen Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten möchte. Europäische Vertreter hatten wiederholt betont, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit eine Grundvoraussetzung für zollfreien Zugang ist.

Grossbritannien hat "absolut" Interesse an der Einwanderungspolitik von Jersey, sagt Philip Ozouf, Assistant Chief Minister der Insel. Diese sei zurückhaltend, pragmatisch und würde die Ergebnisse liefern, die Unternehmen bräuchten. "Falls sich unser System in irgendeiner Art und Weise auf das von Grossbritannien anpassen lässt, dann sind wir bereit, zu assistieren und unsere Kenntnisse zu teilen", kündigt er an.

Der Zugang zu Arbeitsplätzen, Unterkünften und Sozialleistungen ist in Jersey für all jene Personen beschränkt, die dort nicht geboren wurden. Damit soll die Einwanderung im Zaum gehalten werden. Arbeitnehmer brauchen eine Genehmigung, wenn sie seit weniger als fünf Jahren auf der Insel sind. Und das Recht, ein Haus zu kaufen, gibt es nur für jene, die dort bereits seit mehr als zehn Jahren leben.

«Dinge im Gleichgewicht halten»

"Unser Platz ist begrenzt", sagt Senator Paul Routier, der für die Bevölkerungspolitik von Jersey verantwortlich ist. "Wir nutzen unseren Mechanismus, den Zugang der Personen zu Unterkünften und Arbeitsplätze zu kontrollieren, um die Dinge im Gleichgewicht zu halten."

Jerseys Ansatz bei der Immigration - bei einer Bevölkerung von rund 103'000 und einer Landmasse von etwa 120 Quadratkilometern - wird den EU-Entscheidungsträgern möglicherweise nicht schmecken, wenn sie darüber diskutieren, was sie Grossbritannien mit seinen etwa 65 Millionen Einwohnern zugestehen. Die EU-Vertreter machen sich Sorgen, dass Zugeständnisse andere Regierungen dazu veranlassen könnten, ähnliches erreichen zu wollen.

Das Cabinet Office, das die Premierministerin unterstützt und für ein effektives Funktionieren der Regierung sorgen soll, sowie das Ministerium für den Austritt aus der EU wollten auf Nachfrage von Bloomberg keinen Kommentar zu einzelnen Treffen oder deren Inhalten abgeben. Ein Sprecher des britischen Home Office, das federführende Amt für Einwanderung, stritt ab, dass man sich das Modell von Jersey angeschaut habe.

Anteil an EU-Ausländer gestiegen

"Regierungsvertreter treffen sich regelmässig mit Amtsträgern von Jersey und sie diskutieren eine ganze Reihe von Themen", sagt Siobhan Bruce, Sprecherin des britischen Cabinet Office.

Die Anzahl der EU-Bürger anderer Länder, die in Grossbritannien arbeiten, war im dritten Quartal auf den Rekordwert von 2,26 Millionen gestiegen - das entspricht einem Anteil von 7,1 Prozent aller Beschäftigten, wie die nationale Statistikbehörde am Mittwoch der vergangenen Woche bekanntgab. Die Daten deuten an, dass das Brexit-Votum im Juni ausländische Arbeitnehmer nicht abgeschreckt hat.

(Bloomberg)