Donald Trump hat Angela Merkel nach wenigen Tagen Amtszeit in ein Dilemma gestürzt. Lange hatte sie sich selbst auferlegt, zu allen Provokationen zu schweigen - erst im Wahlkampf, dann vor der Amtseinführung, dann in den ersten Tagen der Präsidentschaft. Am Tag nach der Wahl wies Merkel zwar darauf hin, welche Werte auch in Zukunft für die transatlantische Freundschaft gelten müssten. Aber offene Kritik an der Person Trump vermied die Kanzlerin. Auch die gemeinsame Erklärung über das erste ausführliche Telefonat fiel freundlich aus.

"Aber angesichts des Trommelfeuers umstrittener Trump-Ankündigungen und mehrfacher Kritik an Deutschland muss sie jetzt aus der Deckung kommen", sagt der Berliner Politologe Gero Neugebauer. "Merkel kann gar nicht anders, als sich offen für deutsche Interessen in die Bresche zu werfen - egal wie gross der Wille zur Kooperation ist." Zum US-Einreisestopp für Bürger einiger muslimische Länder fand sie deshalb sehr deutliche Worte - und wies den Vorwurf zurück, Deutschland bereichere sich auf Kosten der Nachbarn. Die Bundesregierung werde ihre "klare Haltung und die klaren Argumente" gerne wiederholen, sagte ihr Sprecher.

Das Dilemma, die Kooperation zu wollen, aber zur Kritik getrieben zu werden, kennt Merkel bereits: Auch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan muss sie einen Mittelweg finden. Einerseits hat sie das Migrationsabkommen zwischen der Türkei und der EU vorangetrieben und will mit ihrem Besuch in Ankara am Donnerstag darauf hinarbeiten, dass es hält. Andererseits muss sie zu den Entwicklungen in der Türkei Stellung nehmen, wo die Behörden Zehntausende mutmassliche Putschisten festnehmen liessen und wo Erdogan immer mehr Macht an sich zieht.

Sonderproblem Trump

Auch jetzt diktieren Opposition, SPD und Nichtregierungsorganisationen Merkel in den Block, welche Punkte sie ansprechen soll. Auch in den Kontakten mit Russland und China gilt: Die Wirtschaft dringt auf gute Kontakte, während Menschenrechtler Kritik angesprochen haben wollen. Merkel selbst beschreibt gerne gegenseitige Abhängigkeiten, die eine Zusammenarbeit auch mit jenen erzwinge, mit denen man ansonsten Differenzen habe.

Trump ist jedoch ein besonderes Problem bei der Abwägung von aussen-, innen- und wirtschaftspolitischen Interessen: Ausgerechnet Merkel gilt als transatlantischste der deutschen Spitzenpolitiker. Die ehemalige DDR-Bürgerin hat nie einen Hehl aus ihrer Bewunderung für die USA und deren Freiheiten gemacht. Aber ausgerechnet Trump hat seit Jahrzehnten Strafzölle für deutsche Importautos im Visier, kritisiert Merkels Flüchtlingspolitik und verstösst nach ihrer Meinung mit pauschalen Einreiseverboten gegen Bürger bestimmter Staaten gegen internationale Konventionen.

Dazu kommt der angekündigte Ausstieg aus internationalen Klimavereinbarungen. Während Trumps Vorgänger Barack Obama den Zusammenhalt der EU unterstützte, setzt der Republikaner offen auf einen Zerfall: Der Vorwurf der deutschen Bereicherung auf Kosten der EU-Nachbarn zielt vor allem auf eine Spaltung.

Merkel will nicht Gallionsfigur sein

"Die Frage ist, wie weit die neue US-Regierung damit gehen will", fragt Jeromin Zettelmayer vom Peterson Institute for International Economics. Der protektionistisch denkende Trump scheine die amerikanischen Handelsdefizite persönlich zu nehmen - und sehe das liberale Deutschland möglicherweise als Hauptgegner. Auch deshalb wehrte sich Merkel vehement dagegen, von der "New York Times" als Gallionsfigur der freien Welt beschrieben zu werden. Das macht sie in den Augen konservativer US-Republikaner noch mehr zum Antipoden Trumps.

In der Bundesregierung setzt man darauf, dass sich der Kurs der US-Regierung mässigt, wenn die Minister im Amt sind - obwohl sich darunter keine Freihändler befinden. Für die ersten Kontakte gilt auf allen Ebenen deshalb die Massgabe: erklären, erklären, erklären. Auch Merkel hat Trump im Telefonat am Samstag etwa den Hintergrund des Russland-Ukraine-Konflikts beschrieben. Anbiedern will sie sich aber nicht: Merkel ist nach Angaben aus Regierungskreisen bereit, im Frühjahr als G20-Vorsitzende zu Trump zu fliegen - aber aufdrängen werde sie sich sicher nicht.

Trump als Wahlkampfthema

Merkels Zusatzproblem: Deutschland bewegt sich in einen Bundestagswahlkampf hinein, in dem Feinheiten auch in der deutschen Innenpolitik eine immer geringere Rolle spielen. In der öffentlichen Debatte geht es um Bekenntnisse: Bis du für oder gegen Trump? Und Merkel ist nicht nur Kanzlerin, sondern auch CDU-Chefin. Auffallend ist, dass die Tonlage der SPD-Vertreter in der grossen Koalition Richtung Washington sehr viel härter ist.

Der frühere Aussenminister und designierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Trump als "Hassprediger" bezeichnet. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kritisiert ihn als "unamerikanisch". Mit Trump verhandeln muss Merkel aber. Das wissen alle.

"Ihre US-Politik wird also im Wahlkampf von vielen Seiten unter Druck kommen - auch von Nationalkonservativen in den eigenen Reihen, die 'Deutschland first' rufen", glaubt der Politologe Neugebauer. Allerdings ist die Gemengelage unklar. Ausgerechnet die Rechtspopulisten, die antieuropäische Strömungen bejubeln und Nähe zu Russland suchen, könnten ein Problem mit Trump bekommen. "Sie mögen zwar seinen Politikstil - aber was ist, wenn der Trump erst einmal Strafzölle gegen deutsche Produkte verhängt?", fragt Neugebauer. Am Wochenende lobte auch CSU-Chef Horst Seehofer Trumps Regierungsstil. Am Montag dann kritisierte er die Einreiseverbote.

Zumindest einen Vorteil könnte Trump für Merkels eigenen Wahlkampf haben: Das von ihr immer wieder vorangetriebene, aber umstrittene Thema eines transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP dürfte sich erledigt haben, sagt Neugebauer. Denn mit dem neuen Mann im Weissen Haus brauche man das Projekt nicht weiter betreiben.

(Reuters)